Am 7. Juli 1944 überschritten Einheiten der Roten Armee die Grenze zwischen Weißrussland und Litauen und befreiten – unterstützt von sowjetischen, jüdischen und polnischen Partisanen – Südlitauen. Die Kämpfe im Norden des Landes hielten bis zum Durchbruch an die Ostsee im Oktober 1944 an. Diese Monate gerieten zu einem Inferno aus Rückzug und Flucht der geschlagenen deutschen Armee, der SS und der deutschen Besatzungsverwaltung, aus den sich voran kämpfenden sowjetischen Truppen, aus tausenden der fliehenden und umherirrenden Zivilbevölkerung mit Habe, Bauernfahrzeugen und Vieh. Die Deutschen hinterließen ein weitgehend ausgeplündertes Land mit zerstörter Infrastruktur (Verbrannte-Erde-Befehl). Zehntausende Litauer, unter ihnen viele Kollaborateure der Besatzung und Mittäter der Vernichtung der Juden und Kriegsgefangenen, waren Teil des Flüchtlingsstroms.

Die in Verstecken der Vernichtung entkommenen oder bei den Partisanen kämpfenden Jüdinnen und Juden erlebten den Vormarsch der Roten Armee nach Litauen als Rettung und Befreiung. Ungefähr 5% der 1941 in Litauen zu Beginn der Besatzung lebenden ca. 220.000 Juden haben überlebt. Die meisten von ihnen verließen das Land rasch in Richtung Westen: zumeist über Polen in Übergangslager in Deutschland, in westeuropäische Staaten, später in neue Heimatländer wie die USA, Kanada und vor allem Palästina/Israel.

Im Herbst und Winter 1944/1945 veranlasste die sowjetische Regierung die Öffnung der Massengräber. Untersuchungskommissionen versuchten, die Zahl der Getöteten festzuhalten. An vielen Tatorten wurden später Gedenkstätten und -monumente errichtet, deren Inschriften an ermordete Kriegsgefangene und an „Bürger der Sowjetunion“ erinnerten. Die zivilen Opfer wurden nicht als ermordete Juden oder Polen erwähnt; dies konnte Schritt für Schritt erst nach der Wiedergewinnung der litauischen Selbständigkeit 1990 erfolgen.

Die neue sowjetische Administration war rasch mit dem beginnenden national-litauischen Widerstand konfrontiert, der sich gegen Ende der deutschen Besatzungszeit auf einen Kampf gegen die Rückkehr des Sowjetsystems vorbereitet hatte. Der einsetzenden Mobilisierung für die Rote Armee entzogen sich viele Männer durch Flucht in die Wälder – der antisowjetische, bewaffnete Widerstand und dessen brutale Bekämpfung durch die Sowjetadministration hatte begonnen. Diesen Kämpfen, an denen Einheiten des sowjetischen Innenministeriums beteiligt waren, und der Verfolgung jeder Opposition fielen bis in die 1950er Jahre tausende Litauer, die getötet wurden, und weit über 100.000 meist nach Sibirien Deportierte zum Opfer. Zu den Deportierten zählten auch deutschsprachige Litauer, die vor allem nach Tadschikistan geschafft wurden, unter ihnen auch Familienangehörige zuvor von den Deutschen ermordeter Juden.

Zu den sowjetischen Truppen, die Litauen von den faschistischen Eroberern befreiten, gehörte die 16. Litauische Schützendivision innerhalb der Roten Armee, der tausende Litauer und hunderte jüdische Soldaten litauischer Herkunft angehörten. Ihnen ist ein Raum im Jüdischen Museum in der Pylimo-Straße Nr. 4 in Vilnius gewidmet.

„ … als der späte deutsche Rückzug mit dem Versuch, möglichst große Verwüstungen anzurichten, vorüber war, erlebten viele Litauer und Polen mit der sowjetischen Besatzung erneut große Enttäuschungen. Nur wenige der überlebenden Juden blieben in Litauen, einer Region, die durch die kurze Zeit der deutschen Herrschaft zum Grab von 400.00 Menschen wurde“ (Dieckmann 2011).

Literatur / Medien
Dieckmann, Christoph 2011, Bd. 2, S. 1497ff.; Enzyklopädie des Holocaust, hsg. von Jäckel / Longerich / Schoeps: Stichwort Litauen, 1995, Bd. 2; Tauber, Joachim / Tuchtenhagen, Ralph: Vilnius. Kleine Geschichte der Stadt, Köln 2008, S. 215ff.

http://www.hagalil.com/archiv/2008/05/levin.htm