Deportationen nach Estland, Lettland, Polen, Deutschland
Im Sommer 1943 ordnete Himmler an, alle Zwangsarbeitslager in Litauen außerhalb der Ghettos aufzulösen. Hintergrund dafür war die zunehmende Kampfkraft der sowjetischen Partisanen vor allem in der Region um Vilnius und des bis in die Ghettos reichenden jüdischen Widerstandes. Die Region wurde zum „Bandenkampfgebiet“ erklärt. Die SS übernahm nun die Kontrolle über die zu Konzentrationslagern erklärten Ghettos von Vilnius, Kaunas und Šiauliai, die noch bestehenden kleineren Ghettos in der Provinz wurden aufgelöst, ihre Insassen in die großen Ghettos verlegt oder umgebracht.

Liquidierung des Ghettos von Vilnius
Diese scheinbar rein organisatorische Veränderung – Zuständigkeit der SS an Stelle der Besatzungsverwaltung – führte rasch zur Auflösung und Zerstörung des Ghettos von Vilnius. Für einen Teil der im Juli 1943 noch lebenden Ghetto-Gefangenen war dies das Todesurteil, für den anderen Teil bedeutete es Deportation. Die Gesamtverantwortung für die Ghetto-Zerstörung und die nachfolgenden Deportationen lag bei Rudolf Neugebauer, Chef der Außenstelle des SS-Einsatzkommandos in Vilnius. Ende Juli 1943 zeichneten sich die ersten Verschleppungen von Ghetto-Insassen nach Estland in die dortigen Arbeitslager Vaivara und Klooga ab, wo sie vor allem in der dortigen Ölschiefergewinnung Zwangsarbeit leisten mussten. Anfang August brachte ein erster Transport ca. 1.000 Häftlinge nach Estland, Ende August und Anfang September folgten mehrere Tausend nach, bis schließlich bei der endgültigen Liquidierung des Ghettos am 23./24. September unter grauenvollen Begleitumständen der letzte Transport folgte. Ende September 1943 waren von ehemals 24.000 Juden des Ghettos – Männern, Frauen und Kindern – ungefähr 14.000 in die estnischen Lager, zum Teil auch in das lettische Lager Kaiserwald deportiert; ungefähr 8.000 Juden aus dem Ghetto in Vilnius wurden zumeist in Paneriai ermordet, eine unbekannte Zahl in das Vernichtungslager Majdanek deportiert. Etwa 1.200 blieben in den kleinen Lagern in Vilnius zurück (HKP, Kailis, Gestapo-Lager).

Gedenkstätte Dautmergen mit Namen der OpferDeportationen nach Estland über Stutthof nach Dautmergen
Die meisten der Deportierten aus Vilnius waren nach Klooga, ein Nebenlager des KZ Vaivara in Estland, verschleppt worden, wo sie mit Häftlingen aus dem Ghetto Kaunas und sowjetischen Kriegsgefangenen zusammen schwerste Arbeit im Ölschieferschlamm, auch bei Fabrik- und Schanzarbeit zu leisten hatten. Beim Herannahen der Roten Armee im Juli/August 1944 wurde das Lager schrittweise aufgelöst, die Gefangenen wurden in das bei Danzig gelegene KZ Stutthof verlegt. Von Stutthof aus wurden Häftlinge wiederum in Lager in Deutschland (u.a. nach Dachau) deportiert – ungefähr 1.000 jüdische, ursprünglich aus dem Ghetto von Vilnius stammende Häftlinge nach Dautmergen-Schömberg bei Rottweil, wo in mehreren Außenlagern des KZ Natzweiler (Elsass) unter unmenschlichen Bedingungen aus Ölschiefer Öl gewonnen werden sollte. Über 700 von ihnen sind dort zugrunde gegangen, wie in der Gedenkstätte Dautmergen mit den Namen der Opfer dokumentiert ist.

Deportationen aus Kaunas und Šiauliai 
Anfang Juli 1944 begann die SS mit der Deportation der Häftlinge des zum KZ umgewandelten Ghettos Kaunas. Am 8. Juli wurden erste Häftlingsgruppen auf Barken über die Memel nach Tilsit verschifft. Es folgte eine mehrere Tage anhaltende brutale Durchsuchung des Ghettos, am 12. Juli wurden ungefähr 3.000 Juden in 40 Bahnwaggons gepfercht, nach dem Abfackeln und der Sprengung der Ghetto-Behausungen kamen weitere 1.000 Häftlinge für den Abtransport „Richtung Westen“ hinzu. Bei diesen Aktionen starben im zerstörten Ghetto wahrscheinlich etwa 2.000 Juden – wenige Tage vor der Befreiung durch die Rote Armee Anfang August 1944. „Von den 40.000 Juden im Juni 1941 erlebten etwas mehr als 3.000 Juden aus Kaunas die Befreiung im Mai 1945: etwa 500 bis 700 bei den Partisanen, zwischen 2.000 und 3.000 überlebten die Konzentrationslager in Polen und Deutschland“ (Dieckmann 2011).

Nach der Übernahme des Ghettos Šiauliai durch die SS im Oktober 1943 befanden sich noch etwa 2.000 Häftlinge im Ghetto, im Juli 1944 kamen mehrere Tausend Häftlinge aus den Außenlagern Joniškis und Panevėžys dazu. Ebenfalls im Juli 1944 hatte Wilhem Stötzler, SS-Hauptsturmbannführer mit langjähriger Erfahrung als Führer von KZ-Wachkompanien, das Kommando zur Räumung des Lagers übernommen. Zwischen dem 15. und 22. Juli fuhren Deportationszüge in Richtung Stutthof. Einige der Häftlinge wurden schließlich noch auf einen Fußmarsch von Šiauliai in Richtung Stutthof gezwungen. Von dort wurden die Männer nach Dachau, Frauen mit Kindern nach Auschwitz weiter deportiert, arbeitsfähige Frauen blieben in Stutthof. „500 bis 600 Juden aus Šiauliai erlebten das Kriegsende, 100 in Šiauliai selbst und die übrigen über Europa verstreut“ (Dieckmann 2011).

Literatur /Medien
Birn, Ruth Bettina: Klooga, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 8, München 2008, S. 162;Bubnys, Arūnas: The Fate of Jews in Šiauliai and the Šiauliai Region, in: Vilna Gaon Jewish State Museum (Hg.): The Šiauliai Ghetto: List of prisoners 1942, Vilnius 2002, S. 201ff.; Dieckmann, Christoph (2011) Bd. 2, Vilnius S. 1269-1280; Kaunas S. 1287-1303 (Zitat S. 1303); Šiauliai S. 1304-1321 (Zitat S. 1321); Enzyklopädie des Holocaust, hrsg. von Jäckel / Longerich / Schoeps, 1995, Stichwort Klooga Bd. 2, S. 771ff., Stichwort Stutthof Bd. 3, S. 1382ff.; Stichwort Vaivara Bd. 3, S. 1485f.; Dautmergen, in: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945 Bd. 5/2 Baden-Württemberg II, Regierungsbezirk Freiburg und Tübingen, hg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand und VVN/BdA Baden Württemberg, Frankfurt/M. 1997, S. 322 f.

Vaivara (EST):
http://www.jewishvirtuallibrary.org/vaivara

Klooga (EST):
http://www.gedenkstaetten-uebersicht.de/estland/klooga/
http://www.holocaustresearchproject.org/othercamps/klooga

Kaiserwald (LV):
http://www.wider-des-vergessens.org/ (längerer Seitenaufbau)

Natzweiler Struthof (F):
http://www.gedenkstaetten-uebersicht.de/de/frankreich/natzw/
http://www.struthof.fr/de/das-kl-natzweiler/

Dachau (D):
http://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/

Dautmergen-Schömberg (D):
http://www.alemannia-judaica.de/schoemberg_kz_friedhof.htm

Polen:
http://auschwitz.org/en/
http://www.majdanek.eu/en
http://stutthof.org/deutsch