Juliane Zarchi (2008)

Juliane Zarchi wurde 1938 in Kaunas als Tochter ihrer aus Düsseldorf stammenden, nichtjüdischen Mutter Gerta aus Düsseldorf und ihres jüdischen Vaters Mauscha Zarchi aus Ukmergė geboren. Die Eltern lebten zunächst in Düsseldorf, mussten aber 1937 Deutschland verlassen und zogen nach Kaunas, wo Mauscha Zarchi Arbeit bei zwei jüdischen Zeitungen fand. Nach der Geburt Julianes, folgte die ebenfalls aus Düsseldorf stammende Mutter ihrer Tochter nach Kaunas nach und wohnte mit deren Familie zusammen. Kurz nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht im Juni 1941 wurde Julianes Vater – wie später der Großteil seiner Familie in Ukmergė – ermordet. Nach Errichtung des Ghettos in Kaunas Mitte August 1941 musste das dreijährige Mädchen allein, ohne Mutter, in das Ghetto. Julianes Mutter, die kein Litauisch sprach und sich kaum verständigen konnte, bat Pranas Vocelka, einem Deutsch sprechenden Tschechen, der seit längerer Zeit in Kaunas lebte, um Hilfe für ihre Tochter. Vocelka hatte sich von seiner Frau scheiden lassen, die mit den gemeinsamen Kindern in das Ghetto ziehen musste und Juliane bei sich aufgenommen hatte. Vocelka gelang es, seine Frau, seine Kinder und Juliane aus dem Ghetto heraus zu schmuggeln. Juliane wurde in der Wohnung ihrer Mutter und Großmutter versteck. Mit Hilfe von Helene Holzmann retteten die beiden Frauen Juliane vor der Entdeckung.

Gerta und Juliane Zarchi 1952 (welt.de)Nach der Befreiung von Kaunas durch die Rote Armee in Kaunas im August 1944 begann eine neue Leidensgeschichte für Mutter und Tochter Zarchi. Beide waren für die sowjetischen Behörden nun "faschistische Feinde". Am 26. April 1945 wurden die beiden Frauen aus der Wohnung geholt, in der sie mit Helene und Margarete Holzman zusammen lebten. Sie wurden mit Hunderten anderen Menschen nach Tadschikistan deportiert. Die Großmutter war bereits im Januar 1945 verstorben. In tadschikischen Exil mussten die Deportierten unter schwierigsten Bedingungen leben und arbeiten, bis sich ihr Leben nach Stalins Tod 1953 verbesserte. Julianes Mutter fand Arbeit und Juliane konnte an der Pädagogischen Universität in Duschanbe studieren. Erst 1962 wurden die beiden Frauen als "unschuldig Verschleppte" rehabilitiert und konnten nach Kaunas zurückkehren. In Kaunas half ihnen wieder die nach wie vor in der Stadt lebende Helene Holzman, die in den Jahren des Exils Kontakt zu ihnen gehalten hatte, ein neues Leben aufzubauen.

Julianes Mutter starb 1991. Ihr größter Wunsch, wieder in ihre alte Heimat Düsseldorf zurückzukehren, erfüllte sich nicht –i hre zahlreichen Anträge waren von den sowjetischen Behörden abgelehnt worden. Voll Dankbarkeit erinnert sich Juliane Zarchi an ihre Mutter, die damals "die Kraft fand, am Leben zu bleiben und nicht zu sterben... Was meine Mutter erlebt hat während der Naziherrschaft in Kaunas, in dem Land, in dem in den fünf Monaten bis Dezember 1941 schon 160.000 Juden ermordet waren, kann ich mir vorstellen. Was sie dann nach 1945 in der Verbannung erlebt hat, weiß ich. Genug für viele Tode." (Juliane Zarchi)

 

Juliane Zarchi im IX.Fort (2008)Juliane Zarchi arbeitete bis 2007/2008 als Deutschdozentin an der Universität in Kaunas. Seither wird sie immer wieder von Schulen und Organisationen in Deutschland als Zeitzeugin eingeladen. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Jüdischen Gemeinde in Kaunas, u.a. in einem Sozialdienst, der 1998 mit Unterstützung des "Hilfsfonds Jüdische Sozialstation e.V." Freiburg i.Br. und des "Kolbe-Werks" ehemalige Ghetto-Häftlinge betreut; sie ist aktiv für den "Denkendorfer Kreis", der aus der früheren Sowjetunion zurückgekehrte oder zugezogene Juden betreut, die keine Entschädigung aus Deutschland erhalten und wegen ihrer unzureichenden Rente finanzielle Unterstützung benötigen.

Literatur / Medien
Zusammenstellung aus nachfolgend genannten Quellen, von Juliane Zarchi 2017 persönlich durchgesehen: http://www.uliweissberger.de/Sachtexte/juliane%20Zarchi.htm; Zitat Juliane Zachi); Kaiser, Reinhard: Unerhörte Rettung. Die Suche nach Edwin Geist, Frankfurt am Main 2004, S. 161ff.
http://denktag2006.denktag-archiv.de/Juliane-Zarchi.1153.0.html
http://www.arbeit-und-leben-hochtaunus.de/Litauen.Juden_in_Kaunas.pdf
http://www.black-dog-ev.de/blackdog.php?p=1.2#KJ (Ausschnitt Film: Karl Jäger und wir. Die langen Schatten des Holocaust in Litauen. Ein Mehrgenerationen-Filmprojekt von Black Dog e.V. - Jugend und Medienbildung.
https://www.welt.de/geschichte/article126688670/Juliana-litt-unter-den-Nazis-wie-unter-den-Sowjets.html (Foto: Gerta und Juliane Zarchi 1952)