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Lodz - Ghetto Litzmannstadt

Plan des Ghettos; Quelle: deathcamps.org

 

(a) Überblick Errichtung, Leben, Arbeiten und Sterben, Ende des Ghettos

Schon am 10. Dezember 1939 hatte Regierungspräsident Friedrich Uebelhoer der Stadtverwaltung in einem Geheimbefehl die Errichtung eines Ghettos angekündigt; der letzte Satz lautete:

Brücke zwischen zwei Sektionen des Ghettos – über die Straßen Zgierska und Limanowskiego; Foto: Bundesarchiv/yad vashem.org = http://www.lodz-ghetto.com/the_bridges_of_the_ghetto.html,6

„Die Erstellung des Ghettos ist selbstverständlich nur eine Übergangsmaßnahme. … Endziel muß jedenfalls sein, daß wir diese Pestbeule restlos ausbrennen“ (vgl. Gutman, a.a.O., S. 894). Am 8. Februar 1940 errichteten die deutschen Besatzer in Lodz das erste Großghetto für Juden im nationalsozialistischen Machtbereich, in dem zeitweilig mehr als 160.000 Jüdinnen und Juden eingepfercht wurden: in den „armen“ Vierteln Bałuty und Stare Miasto (Altstadt), in denen es viele Häuser aus Holz, ohne Wasseranschluss und Kanalisation gab sowie ungepflasterte Straßen und Wege.

Das Ghetto wurde von der übrigen Stadt isoliert. Die Bewohner*innen stammten überwiegend aus Lodz und dem annektierten Warthegau. Im Herbst 1941 trafen Transporte mit 20.000 Juden aus Westeuropa und 5.000 Sinti und Roma aus Österreich im Ghetto Litzmannstadt ein. Im Herbst 1941 begann die Planung des Vernichtungslagers Kulmhof im nahen Chełmno nad Nerem; im Dezember 1941 wurden dort die ersten Menschen in Gaswagen ermordet.


Hans Biebow, ca. 1942; Quelle: HEART

Die deutsche Verwaltung
Hans Biebow, wurde von Reinhard Heydrich, mit dem er gut bekannt war, am 1. Mai 1940 zum Leiter der 'Ernährungs- und Wirtschaftsstelle' des Ghettos ernannt, später war er 'Leiter der (deutschen) Verwaltung'. Der Bremer Kaffeehändler (1902 – 1947) erkannte bald, dass das Ghetto Gewinn abwerfen würde, wenn man es auf Zwangsarbeit der jüdischen Insassen und niedrigen Aufwand für Essen etc. umstellte..... und die Zahl der „nicht arbeitsfähigen“ Bewohner*innen reduzierte. Es wurde ein riesiger Lagerkomplex aufgebaut, in dem die jüdischen Insassen für die deutsche Kriegswirtschaft arbeiten mussten. Arbeit, Hunger, Krankheiten und Epidemien, katastrophale sanitäre Bedingungen und eine große Bevölkerungsdichte verursachten eine hohe Sterblichkeit. Auf dem jüdischen Friedhof sind 43.500 Menschen begraben, die  i m  Ghetto an Hunger, Krankheiten oder Misshandlungen starben.

 



Der eingesetzte „Judenrat“
Wie üblich, setzten die Deutschen einen Judenrat zur „Vermittlung“ zwischen ihnen und der jüdischen Bevölkerung ein. Der Ende 1941 als Vorsitzender des jüdischen „Ältestenrates“ benannte Mordechaj ChaimMitglieder des Judenrats; Mitte: Ch. Rumkowski; Quelle: jfcs.org Rumkowski(1877-1944) wurde von den Deutschen gezwungen, Leben und Arbeiten im Ghetto sowie die Auswahl der zu Deportierenden zu organisieren. Der  Judenälteste hoffte offenbar, durch Willfährigkeit gegenüber den Besatzern und harte Arbeit wenigstens einen Teil der Jüdinnen und Juden retten zu können (Näheres vgl. Kurzbiografie).

 

b) Das „Zigeunerlager“

Abgetrennte Gebäude im Ghetto
Die den aus Österreich deportierten Sinti und Roma zugewiesenen Gebäude im Ghetto lagen an der - heutigen - ul. Wojska Polskiego 84.

Lackenbach, Roma-Lager, ca. 1940 Lackenbach, Roma-Mahnmal; Quelle: wikipedia, Hadinger Abgetrenntes Roma-Lager; Quelle: USHMM/wikipedia Teil des 'Zigeunerlagers'; Foto Walter Genewein (dt.) Fotograf – Quelle: USHMM, Foto Nr. 74532A

Das Roma-Lager
Im November 1941 holten die Deutschen etwa 5.000 Roma, die Hälfte waren Kinder, aus einem sog. „Anhaltelager“ in Lackenbach und aus ihren Dörfern im Burgenland (Österreich) ab und deportierten sie in fünf Transporten nach Lodz. Sie wurden in eigens dafür leergeräumten Gebäuden des Ghettos in einem durch einen Zaun abgetrennten Bereich untergebracht („Zigeunerlager“, „Roma-Lager“). Ihre Verpflegung etc. wurde auf den Judenrat des Ghettos abgewälzt, ebenso die medizinische Versorgung. Nach Ausbruch von Flecktyphus gab es viele Tote, insbesondere unter den Kindern; laut „Chronik des Ghettos“ mindestens 600.

In der Zeit von 5.bis 12. Januar 1942 wurden die überlebenden etwa 4.400 Roma-Männer, Frauen und Kinder in das Vernichtungslager Kulmhof verschleppt und dort mit Auspuffgasen erstickt (Krakowski, a.a.O., S. 46ff.; s.a. http://www.lodz-ghetto.com/the_gypsy_camp.html,36).

Gedenkstein und -Tafel Roma-Lager Gedenktafel der Stadt Lodz

Gedenken

Vor der sog. „Schmiede“ des Lagers wurde ein Gedenkstein errichtet. Auf der Gedenktafel ist zu lesen (in deutscher Übersetzung; Original in polnisch, englisch, romanesch):
„An diesem Ort errichteten die deutschen Behörden ein 'Zigeunerlager', abgegrenzt durch die Sulzfelder Straße (heute: ul. Wojska Polskiego), Konradstr. (Glowackiego), Kriminalstr. (Starosikawska) und Blechgasse (Obroncow Westerplatte). Von den 5000 Roma-Männern, Frauen und Kindern, die aus Österreich deportiert und hier vom 5. November 1941 bis 12. Januar 1942 gefangen waren, starben über 600 an Krankheiten oder wurden im Lager ermordet. Die übrigen wurden im Todeslager Kulmhof am Ner in der Woche vom 5. bis 12. Januar 1942 vergast“.

Literatur/Medien
Krakowski, Shmuel: Das Todeslager Chełmno/Kulmhof. Der Beginn der „Endlösung“, Göttingen 2007, S. 46ff.
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/das-zigeunerlager-lackenbach-im-oesterreichischen-burgenland/
https://de.wikipedia.org/wiki/Zigeuner-Anhaltelager_Lackenbach
http://www.lodz-ghetto.com/the_gypsy_camp.html,36

(Karte googlemaps Lodz, Ballons auf
- Gedenkstein und Gedenktafel 'Romalager' im Ghetto (ul. Wojska Polskiego 84 = GPS 51.786646, 19.4661083)

c) Die Ghettobewohner*innen

„Die Lebensbedingungen im … Ghetto waren erbärmlich. Rund 170.000 Menschen lebten zusammengepfercht auf einem vier Quadratkilometer großen Areal, nicht selten mussten sich acht bis zehn Personen einAnstehen für Suppe; Quelle; USHMM Zimmerteilen. Die größtenteils aus Holz gefertigten Häuser befanden sich in einem schlechten Zustand, verfügten über keine angemessenen sanitären Einrichtungen wie Wasser- und Abwasseranschluss und waren nicht ans Gasnetz angeschlossen. Da die Deutschen kein Heizmaterial zur Verfügung stellten, litten die Ghetto-Bewohner stark unter der Winterkälte.“  

Das Schlimmste aber war der Hunger. Die Deutschen hatten die Nahrungsmittelversorgung bewusst auf ein Minimum reduziert.... Die Hauptmahlzeit bestand aus einer dünnen Suppe, gelegentlich ergänzt um eine Scheibe Brot oder Pferdewurst. Auf diese Weise betrieben die Deutschen das Ghetto mit minimalen Kosten und zogen maximalen Nutzen daraus. …. Insgesamt starben in der Zeit, in der das Ghetto existierte, rund 44.000 Menschen (21 Prozent der Gesamtbevölkerung), hauptsächlich an Hunger oder Krankheiten“ (Yad Vashem Enzyklopädie der Ghettos...,  a.a.O., S. 408). 

(Zwangs-) Arbeit
Im Oktober 1940 beschlossen die deutschen Behörden, die Fabriken im Ghetto auszubauen, und zwar so, dass nicht die Deutschen sondern die Juden die entstehenden Kosten trugen. Sie griffen das Angebot Rumkowskis vom Frühjahr auf,  mehrere Tausend Juden als Arbeitskräfte zu stellen. …. Permanent erinnerte Rumkowski die Ghetto-Bewohner an die Bedeutung ihrer Arbeitskraft, anfangs um ihren Lebensunterhalt zu sichern, ab Anfang 1942 aber, als die Deutschen die Umsetzung der „Endlösung“ in Angriff nahmen, als Mittel, das eigene Leben zu schützen, da diejenigen, die als nicht arbeitsfähig galten, in die Vernichtungslager deportiert wurden“ (Yad Vashem Enzyklopädie ...,  S. 410). Der anfängliche „Verleih“ von Ghettobewohnern an (SS-) Zwangsarbeitslager (z.B. zum Bau der Autobahn Frankfurt/Oder – Posen; vgl. Zabikowo, Woiw. Großpolen) wurde nach einiger Zeit reduziert (zu den Hintergründen vgl. Alberti, a.a.O., S. 377f.; Klein, a.a.O., S. 317ff.)

Schließlich gab es über hundert Fabriken, viele vom Judenrat geschaffene „Arbeitsressorts“ , in denen auch viele ältere Menschen, Frauen und Kinder über zehn Jahren arbeiteten, und Privatbetriebe wie Neckermann, Leineweber oder Karstadt. Die Zahl nahm zu, besonders als die Deportationen in die Vernichtungslager einsetzten; 1943 und 1944 arbeiteten über 90 Prozent der Ghetto-Bewohner*innen.

Deportationen in die Vernichtungslager

Als erste wurden Ende Dezember 1941 die Roma aus Österreich in das neu eröffnete deutsche Vernichtungslager in Kulmhof deportiert und ermordet (s.o. „Zigeunerlager“). In der ersten Phase der Judendeportationen (Januar bis Mai 1942) wurden 55.000 Menschen deportiert,  meist – aus deutscher Sicht - schwache, kranke und andere „unproduktive“ Personen.

ehem. Spital Nr. 1 und Kinderspital, ul. Łagiewnicka 36 „Sperre“ - Kinder werden deportiert; Quelle: wikimedia/USHMM

„Allgemeine Gehsperre“, Deportation auch von Kindern …

In der zweiten Phase ab September 1942 wurden zunächst die kranken und behinderten Menschen aus den Häusern geholt, in bestimmten Kliniken „gesammelt“, viele Kliniken zerstört und die Patienten, ob alt oder jung deportiert. Eltern, die ihre Kinder schützen wollten, wurden gewaltsam weggezerrt oder erschossen. Das Spital No.1 wurde danach u.a. genutzt als Schneiderwerkstatt.

In der Woche vom 5. bis 12. September, als die Deutschen das Ghetto .… von „nutzlosen Essern säubern wollten“ - u.a. durch die Deportation der Kinder und Alten -  folgte eine gnadenlose „Aktion“, von den Überlebenden „Szpera“/Sperre“ genannt. Gestapo und Schupo gingen, begleitet von jüdischen Ghetto-Polizisten, von Haus zu Haus und holten Alte, Kranke und Kinder unter 10 Jahren heraus. Über 15.600 Menschen wurden nach Kulmhof deportiert. Im gesamten Jahr 1942 wurden über 70.000 Juden und sämtliche „Zigeuner“ aus dem Ghetto ...verschleppt und ermordet (Yad Vashem Enzyklopädie der Ghettos...,  a.a.O., S. 412; zur kontrovers diskutierten Frage, ob und inwieweit Chaim Rumkowski das Schicksal der Deportierten kannte, vgl. Kurzbiografie).
http://www.lodz-ghetto.com/hospital_no1_and_pediatric_hospital.html,18


Frauen im Tischlerressort; Foto: www.ausstellung-zwangsarbeit.org Arbeit in Schusterwerksatt; Foto: www.ausstellung-zwangsarbeit.org

...Ghetto bleibt vorerst in Betrieb...

Die Zwangsarbeit im Ghetto wurde ausgebaut – für die Wehrmacht, Privatfirmen wie Neckermann und Leineweber oder in den Ressorts des Judenrats – Arbeit für wenig oder keinen Lohn - sondern für „Ghettogeld“, eine Suppe oder ähnliches. Die Hoffnungen wurden erneut bitter enttäuscht: SS-Reichsführer Himmler befahl im Sommer 1944 die Schließung des Ghettos. Binnen weniger Wochen wurden 60.000 Menschen nach Kulmhof bzw. Auschwitz-Birkenau deportiert und getötet. Als die Rote Armee im Januar das Ghetto erreichte, fand sie noch mehrere hundert ausgehungerte Menschen in Verstecken vor.

Anfang 1943 drängte die SS auf Liquidierung des Ghettos – die örtlichen deutschen Behörden (Biebow und Gauleiter Greiser) und die Wehrmacht wollten es weiterführen, nicht zuletzt wegen der Profite bzw. der niedrigen Kosten. Das Ghetto Litzmannstadt blieb in Betrieb, als fast alle anderen Ghettos in Polen schon aufgelöst waren. Im Februar 1944 jedoch verfügte Himmler die schrittweise Auflösung des Ghettos. Das Vernichtungslager Kulmhof ging wieder in Betrieb, in drei Wochen wurden über 7.000 Juden ermordet. Wegen des Vormarsches der Roten Armee und der begrenzten Mordkapazitäten änderten die Deutschen ihre Pläne Anfang August und schickten über 60.000 Juden über den Bahnhof Radegast nach Auschwitz-Birkenau in den Tod.

….und wird im August 1944 'liquidiert'

Ende August 1944 wurde das Ghetto Litzmannstadt, das am längsten von allen existiert hatte, 'liquidiert' und abgerissen. Etwa 800 Juden blieben zu Aufräumungsarbeiten zurück, viele wurden nach getaner Arbeit ermordet. Mehrere hundert ausgehungerte Überlebende traf die Rote Armee am 19. Januar 1945 in Verstecken an.

Erinnerung und Gedenken

An das Ghetto Litzmannstadt erinnern u.a.

- Bahnhof Radegast
- Jüdischer Friedhof von Lodz
- Park der Überlebenden mit Dialogzentrum Marek Edelman
- sowie der „Weg des Gedenkens an das Ghetto Litzmannstadt“ (Baluter Ring bis Bahnhof Radegast) und (s.o): www.lodz-ghetto.com

 

(Uhh - 2021)