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Ajaccio

Region Korsika (Corse), Departement Corse-du-Sud

Der Ort
Hauptstadt Korsikas und des Departements Corse-du-Sud, ca. 65.000 Einwohner/innen, Hafen (Fähren nach Frankreich und Italien), Bahnhof (Züge nach Corte und Bastia, mit Umstieg auch nach Calvi), an der N 193 (Corte 81 km, Bastia 147 km), N 196 (Sarténe 81 km, Bonifacio 131 km); Flughafen.

Die Ereignisse
Seit Juni 1940 saß die Delegation der italienischen Waffenstillands-Kommission in Ajaccio (ehem. Grand Hôtel d'Ajaccio, Cours Grandval Nr. 22; heute: Sitz der Collectivité Territoriale de Corse). Das nährte Befürchtungen über eine Annexion der Insel, wozu es allerdings nicht kam. Am 22. Juli 1940 führte E. Macchini eine italienfeindliche Demonstration an. Die Vichy-Regierung und der Bürgermeister versuchten, anti-italienische Proteste zu unterbinden, um die Besatzer „nicht zu provozieren“.

Italienische Besatzung
Unter italienischer Besatzung (ab November 1942) waren in und um Ajaccio italienische Truppen und Marine stationiert – und eine zunächst geringe Anzahl deutscher Soldaten und Gestapo-Angehörige. Der Widerstand organisierte sich ab Ende 1942: Nachrichtendienste, Fluchthilfe. Wichtigste Organisation wurde die Nationale Befreiungsfront Front National (FN), die bald in den meisten Dörfern und Städten Gruppen hatte. De Gaulle schickte Fred Scamaroni auf die Insel, um ein Widerstandsnetz aufzubauen und den Widerstand zu einen. Die Hilfe, Unterstützung und das Schweigen der Bevölkerung waren wesentlich für den Erfolg des Widerstands. Die Italiener, besonders die Geheimpolizei OVRA, gingen hart gegen den Widerstand vor. Beispiele: Im März wurde die Gruppe um Fred Scamaroni aufgespürt, er selbst verhaftet und in der Zitadelle von Ajaccio gefoltert. Um nicht zu reden, nahm er sich am 19. März 1943 das Leben. Die FN gab sich neue  Strukturen (vgl. Porri). Paulin Colonna d'Istria wurde der neue Beauftragte des CFLN in Algier, er kooperierte mit der FN. Am 29. Mai 1943 wurde der Eisenbahner Louis Frediani, Anhänger der FN, auf dem Weg zur Arbeit ohne Vorwarnung von einem Carabinieri erschossen. Die italienischen Behörden wagten nicht einzuschreiten, als am Tag darauf  über 2.000 Menschen seinen Sarg zum Bahnhof geleiteten – auf der Trauerschleife stand in goldenen Lettern: „Die Nationale Befreiungsfront seinem viel zu früh verstorbenen Kameraden.“
Im Juni wurden André Giusti und Jules Mondoloni, zwei Verantwortliche der FN, in der Brasserie Nouvelle in Ajaccio erschossen. Kurz darauf wurde Jean Nicoli, der militärische Leiter der FN, verhaftet und Ende August in Bastia hingerichtet.


Ehem. Sitz der it. Waffenstillstands-Kommission Blick in die Zitadelle Tafel an der Mauer der Zitadelle Stele auf dem Grab von Fred Scamaroni Tafel am Geburtshaus von Danielle Casanova Gedenktafel A. Giusti u. J. Mondoloni Stele Pierre Griffi Plakat für Louis Frediani, Ajaccio

Volksaufstand und Befreiung
Nach dem Sturz Mussolinis und verstärkter deutscher Truppenpräsenz entschied die Nationale Befreiungsfront FN, im Falle einer italienischen Kapitulation (sie wurde am 8. September 1943 bekannt) nicht auf die Armeen zu warten, sondern selbst aktiv zu werden (siehe Korsika, Einführung). Am 9. September verlas Maurice Choury im Auftrag der FN in Ajaccio den Aufruf zum Volksaufstand und zur Befreiung Korsikas; ein neuer Bürgermeister wurde eingesetzt, dem Präfekten ein Präfekturrat zur Seite gestellt. Alle Gruppen im Land wurden zu entsprechenden Aktionen aufgerufen. Den deutschen Einheiten wurde der Zugang nach Ajaccio verwehrt, sie zogen sich übers Meer zurück. Hafen und Flugplatz blieben frei und konnten für die künftigen Landungen von alliierten Waffen und Soldaten benutzt werden (vgl. auch Levie). Am 14./15. September 1943 gingen die ersten freifranzösischen Soldaten in der Nähe von Ajaccio an Land, sie waren mit dem U-Boot „Casabianca“ unter Kommandant L'Herminier von Algier nach Korsika gebracht worden. Nach der vollständigen Befreiung Korsikas am 4. Oktober besuchte de Gaulle die Insel und sprach am 8. Oktober auf dem Place du Diamant (heute: Place du Général de Gaulle).


Widerstandsdenkmal am Hafen, Ajaccio FN-Aufruf zum Volksaufstand (© ANACR 2A) Gedenkstele und -tafel für Colonna d'Istria Büste L'Herminier Gedenktafel für L'Herminier u. U-Boot „Casabianca“

Gedenken
Widerstand, Repression und Befreiung sind Themen zahlreicher Gedenkorte. Widerstands-Denkmal am Quai Napoléon: Der Widerstand schützt die Korsen mit dem Schild und treibt mit dem Schwert die Besatzer außer Landes. Die Zitadelle war Haft- und Folterort für viele korsische Widerständler, u.a. Fred Scamaroni. Tafeln in und außerhalb der Zitadelle, in der Präfektur sowie eine Grabstele (Friedhof / nouveau cimetière, Boulevard Stephanopoli) erinnern an seinen Kampf, seine Ziele, die Folter und den Freitod. In den nächsten Jahren soll in der Zitadelle ein Gedenkort entstehen. In der Nähe ehrt eine Tafel die Widerstandskämpferin Danielle Casanova (Boulevard Danielle Casanova Nr. 18, vgl. auch Piana).
Am Haus Cours Napoléon Nr. 50 gedenkt eine Tafel der beiden im Juni 1943 von der OVRA erschossenen Widerstandskämpfer Giusti und Mondolani. Am Bahnhofsvorplatz wurde in einem kleinen Park eine Stele mit Büste von Pierre Griffi errichtet, dem Funker der „Casabianca“. An der Ecke Rue Louis Frediani / Cours Napoléon erinnert ein Plakat an den hier erschossenen Eisenbahner. Der ehem. Lehrer und Résistant (u.a. FN-Verantwortlicher für Ajaccio) Jérôme Santarelli wird u.a. durch ein 2012 eröffnetes Schulzentrum im Stadtteil Candia, das seinen Namen trägt, geehrt.
Vor dem Rathaus rief Maurice Choury für die Front National zum Volksaufstand auf. Der Beschluss war mit Billigung des von Algier nach Korsika entsandten Paulin Colonna d'Istria gefasst worden; er wird durch eine Stele mit Gedenktafel geehrt: „Einiger des korsischen Widerstands, Koordinator der Aktionen, die zur Befreiung von Korsika führten“ (Ecke Cours Napoléon/Rue Colonna d'Istria). Am Quai de L'Herminier, vor dem Eingang zum Palais des Congrès, ehrt eine Stele mit Büste den Kommandanten des U-Boots „Casabianca“, Fregattenkapitän L'Herminier: „Die Casabianca hat aus Algier kommend .. hier am 13. September 1943 100 Mann des Stoßbataillons an Land gesetzt, die den seit dem 9. September aufständischen Patrioten helfen sollten.“ In der Nähe ehrt und dankt eine Stele diesen ersten freifranzösischen Soldaten, die Mitte September an Land gingen und bei der Befreiung halfen (Quai de la République Nr. 8). Auf dem Place du Diamant (heute: Place du Général de Gaulle) sprach de Gaulle Anfang Oktober von Korsika als „dem ersten befreiten Stück Frankreichs“; er zollte den Korsen Respekt für den Aufstand: „Sie hätten warten können, dass der Sieg der Armeen ihr Schicksal gütlich regelt. Aber sie wollten selber die Sieger sein. Sie meinten, dass die Befreiung nicht wirklich ihren Namen verdiente, ... wenn sie nicht einen eigenen Anteil an der Flucht der Eindringlinge hätten.“  Diese Sätze werden auf der Gedenktafel von 2013 zitiert und daran erinnert auch die Tafel am Flughafen.

Literatur/Medien
Chaubin, Hélène: La Corse à l’épreuve de la guerre 1939–1943, Paris 2012
Choury, Maurice: Tous bandits d'honneur! Résistance et Libération de la Corse (Juin 1940 – Octobre 1943), Neuauflage Ajaccio 2011 (vgl. website: http://tousbanditsdhonneur.fr/doku.php)
Battistini, Roberto/Ferranti, Marie: Corse 1943. Les Combattants der la Liberté, Ajaccio 2013, S. 136ff.
Résistance et Libération de la Corse. 1943–1993, Ajaccio1993
corse-matin, 4. Oktober 2013
www.resistance-corse.asso.fr/fr/mediatheque/biographies/ (D. Casanova, M. Choury, P. Colonna d'Istria, A. Giusti, P. Griffi, J. Mondoloni, J. Santarelli, F. Scamaroni)