Region Centre-Val de Loire, Departement Loiret

Der Ort
Kleinstadt an der Loire mit 4550 Einwohner/innen (2015), 20 km östlich von Orléans (D 951 oder D 960); 100 km südlich von Paris: A 10/N 20 →Orléans, D 960 →Jargeau. Im Ort befand sich ein großes Internierungslager, vor allem für Sinti und Roma/tsiganes/nomades.

Internierungslager für Sinti und Roma
Historisches Foto des Lagers (© CERCIL, Orléans)Das Gelände eines im Herbst 1939 gebauten Lagers, das Evakuierte aus der Region Paris aufgenommen und das die Wehrmacht zeitweise als Lager für frz. Kriegsgefangene genutzt hatte, wurde ab 5. März 1941 auf Anordnung des frz. Präfekten als Internierungslager für ‚nomades‘/Nichtsesshafte, Landfahrer genutzt.

Vorausgegangen waren zwei Anordnungen: Einmal das Dekret der Dritten Republik vom 6. April 1940, das sich auf ein Gesetz von 1912 betr. 'nomades' stützte: Die 'nomades' sollten während des Krieges an bestimmten Orten unter Polizeikontrolle gesammelt werden und den Ort nicht verlassen dürfen ('assignation à résidence'). Zum anderen wies die Wehrmacht per Befehl vom Oktober 1940 die frz. Behörden in der besetzten Nordzone an, „Zigeuner“ in Lagern zu internieren. Näheres vgl. Sachstichwort Sinti und Roma (Frankreich).

Internierte Frauen und Kinder; © Cercil, OrléansIn dem Internierungslager wurden jetzt Familien von 'nomades', 'tsiganes' und 'forains' (Nichtsesshafte/Landfahrer, Sinti und Roma/'Zigeuner' und Marktbeschicker) eingesperrt. Im August 1941 zählte man 606 Internierte. Es kamen eine Anzahl Prostituierte und politische Gefangene dazu. Insgesamt waren bis zur Schließung 1700 Personen interniert. Die große Mehrzahl – 1200 – waren 'tsiganes' und 'nomades'. Darunter waren 700 Kinder (Näheres vgl. Vion, a.a.O., S. 111ff.). Hin und wieder wurden Marktbeschicker entlassen; sie gehörten nach frz. Auffassung nicht zu den zu Internierenden.

Die Bedingungen waren wegen unzureichender Hygiene, engen Holzbaracken und einseitiger knapper Ernährung (ständig Steckrüben, weiße Rüben ...) schlimm, dazu kam die Kälte im Winter. Männer wurden zeitweise von Einwohnern zu – unbezahlten – Feld- und anderen Arbeiten angefordert.


Verspätete Befreiung
Die Internierung der 'tsiganes' wurde auch nach dem Abzug der deutschen Soldaten aus der Region um Jargeau/Orléans Ende August 1944, ja sogar nach Kriegsende am 8. Mai 1945, fortgesetzt. Das frz. Innenministerium schrieb am 20. November 1944: „Es erscheint wegen der Umstände des Kriegs und der Lage infolge des Kriegszustands nicht möglich, die Befreiung aller z. Zt. internierten 'nomades' in Betracht zu ziehen …“ (zu den Hintergründen vgl. Sachstichwort Sinti und Roma). Im Januar 1945 wurden noch 285 'nomades' aus dem – inzwischen geschlossenen – Internierungslager Montreuil-Bellay nach Jargeau geschickt (z.B. Jean-Louis Bauer, vgl.Vion, a.a.O., S. 97f., 117).

Schließung des Lagers im Dezember 1945
Auch das Kriegsende am 8. Mai 1945 änderte zunächst nichts; im Lager Jargeau wurden noch 450 Personen festgehalten. Das alte Misstrauen gegen die Nicht-Sesshaften, Umherziehenden dauerte an. Erst zum 31. Dezember 1945 wurde das Lager geschlossen und wurden die letzten internierten 'nomades' entlassen. „Sie wurden schlicht vor die Tür gesetzt – ohne jede Betreuung, ohne Unterkunft und Nahrung“ (Cercil). Sie standen vor dem Nichts: Ihre Pferde und Planwagen, mit denen viele gekommen waren, waren weg. Unterstützung gab es nicht. Ein junger Mann: „Man hat uns die Tore geöffnet und gesagt: geht! Wir waren uns selbst überlassen, hatten keine Mittel. Nach Jahren im Lager ... hatten wir nichts mehr und wussten nicht, wohin wir gehen sollten.“ 

Jean-Louis Bauer, der als Jugendlicher mit seiner Mutter schon drei andere Lager durchlitten hatte, erzählt: „Als wir endlich befreit wurden, war es kalt. Es war niemand da, um uns zu helfen. Meine Mutter hat in einem Steinbruch einen alten Kinderwagen gefunden und wir sind zu Fuß nach Poitiers gegangen, ohne etwas zu essen. Wenn wir anhielten, um die Leute um ein Stück Brot zu bitten, wurde uns die Türe vor der Nase zugeschlagen. Das Rote Kreuz war auch nicht da, um uns zu helfen“ (vgl. Vion, a.a.O., S.117f.).

Gedenktafel (© CERCIL, Orléans)

Gedenken
Lange hatte man im Städtchen den Mantel des Schweigens über das Lager gehüllt. Nach vielen Briefen, Demarchen und einem Appell an den frz. Präsidenten schlug der Bürgermeister eine Gedenktafel vor, was der Gemeinderat zunächst ablehnte. Am 7. Dezember 1991 weihte der Bürgermeister eine Gedenktafel ein. Sie gibt einen Ausspruch von Jean Guéhenno wieder: „Keine Gewalt hat je etwas zur Größe der Menschheit beigetragen.“ Folgt der Text: „Hier wurden 1700 Personen zwischen 1939 und 1945 ihrer Freiheit beraubt, darunter tziganes, Résistants, STO-Verweigerer und unerwünschte Personen“ (das Wort 'tsiganes' wurde erst nach Interventionen u.a. des ehemaligen Internierten Jean-Louis Bauer 'Poulouche' eingefügt). 

Gedenkzeremonie zum 70. Jahrestag der Lager-SchließungDie Gedenktafel steht auf dem ehemaligen Lagergelände, heute befindet sich dort eine Schule, das Collège Clos Ferbois (3 Rue Albert Serin-Moulin). Die Gedenkfeier wird von der Gemeinde und der Schule ausgerichtet, sowie dem CERCIL in Orléans, dem die Stadt Jargeau als Trägergemeinde beigetreten ist. Jährliche Gedenkzeremonien um den 15. Dezember – Jahrestag der Schließung des Lagers. Die Rede des frz. Staatsekretärs Todeschini bei der Zeremonie 2015 war ein erster Schritt zur offiziellen Ehrung der tziganes/nomades – die Verantwortung der Französischen Republik an der Verfolgung und Internierung anerkannte Präsident Hollande ein Jahr später in Montreuil-Bellay (s. dort). 

 

Literatur/Medien
Vion, Pascal: Le camp de Jargeau juin 1940 – décembre 1945, Orléans 1993.
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 73 
http://balval.pagesperso-orange.fr/Poulouche/Poulouche.html 
http://www.magcentre.fr/87226-jargeau-la-france-rend-hommage-70-ans-apres-aux-tsiganes-internes-durant-loccupation/ 
http://www.cercil.fr/
http://fr.wikipedia.org./wiki/Camp_de_Jargeau