Region Centre-Val de Loire, Departement Loiret

Der Ort
Stadt in der Agrarregion (‚Kornkammer‘) Beauce, ca. 9100 Einwohner/innen (2015), 80 km südlich von Paris: N 20 →Orléans, bei Étampes D 721/D 921 →Pithiviers; 40 km von Orléans: D 97 →Étampes, nach 25 km rechts auf D 927. Im Ort gab es 1941–1943 ein Internierungs- und Deportationslager für Juden.

Die Ereignisse
Anfang 1939 nach der Niederlage der spanischen Republik wurden spanisch-republikanische Flüchtlinge (vgl. Retirada), vor allem Frauen und Kinder, in dem Lager festgehalten; sie wurden nach kurzer Zeit in das Lager Fleury-les-Aubrais (Centre) verlegt.
Während des 2. Weltkriegs sperrte die deutsche Wehrmacht hier französische Kriegsgefangene ein.
Ab 1941 war es ein Lager der Vichy-Regierung; zunächst bis Herbst 1942 für auf deutsches Verlangen internierte und später deportierte Juden, von September 1942 bis August 1944 für etwa 3000 politische Gefangene.

Internierungslager für Juden, Gesamtansicht (1941); Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S69236

Internierungslager für Juden
Ab Anfang 1941 wurde das Lager wieder von der frz. Vichy-Regierung genutzt – als Internierungslager. Es war von Stacheldraht umgeben und wurde von französischen Gendarmen bewacht. Die beiden Lager des Loiret, Pithiviers und Beaune-la-Rolande, entwickelten sich in der Phase der beginnenden „Endlösung der Judenfrage“ zur einer Drehscheibe für die Deportation von Juden in die Vernichtungslager („Vorhof von Auschwitz“).

In Pithiviers wurden zwischen 1941 und 1942 tausende Juden interniert. Die meisten wurden in die Todeslager deportiert, nur wenige überlebten. Darunter waren auch die bei der Razzia des Vel d’Hiv am 16./17. Juli 1942 verhafteten Kinder (vgl. Paris 15°, Vel d‘Hiv-Razzia). Die Kinder wurden von ihren Müttern getrennt, blieben verstört alleine zurück. Sie wurden wenig später über das Lager Drancy bei Paris nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo alle ermordet wurden.

Registrierung von Opfern der billet vert-Razzia; Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S69238

Razzia am 14. Mai 1941 ('Rafle du billet vert') 
Am 14. Mai 1941 wurden etwa 1700 jüdische Männer in das Lager Pithiviers eingeliefert, weitere ca. 2000 in das Internierungslager Beaune-la-Rolande. Die ausländischen, meist polnischen Männer, waren auf Anweisung der Deutschen in Paris festgenommen worden, als sie sich nach einer entsprechenden Aufforderung „zur Überprüfung ihrer Situation“ bei frz. Stellen in Paris gemeldet hatten (sog. Rafle du billet vert; vgl. Klarsfeld, a.a.O., S. 24ff.; https://fr.wikipedia.org/wiki/Rafle_du_billet_vert). Die Vorladungen waren auf der Basis einer 'Judenkartei' erstellt worden. Diese beruhte auf der Auswertung der 'Judenzählung', die im Oktober 1940 auf Verlangen der deutschen Militärverwaltung in der besetzten Nordzone stattgefunden hatte. Etwa die Hälfte der Vorgeladenen hatten der Vorladung Folge geleistet, in der irrigen Annahme, es handele sich nur um eine Formalität.

Vel d'Hiv-Razzia; Quelle: http://eajc.org/page32/news31827.htmlVel d'Hiv-Razzia am 16./17. Juli 1942
Die nächste größere Zahl von Internierten gehörte zu den ca.13000 bei der Razzia am 16./17.Juli 1942 in Paris und Umgebung verhafteten jüdischen Menschen (vgl. Klarsfeld, a.a.O., S. 118ff.). Sie wurden wenige Tage später in die Lager Drancy, Pithiviers und Beaune-la-Rolande transportiert. Darunter waren auch etwa 1500 Kinder, die bei der Razzia des Vel d’Hiv in Paris gefangen worden waren. Die „Aktion“ stand im Zeichen der beginnenden „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich.

Denkmal in PithiviersDeportationen
Am 25. Juni, 17. Juli, 31. Juli, 3. und 8. August sowie am 21. September 1942 wurden 6079 jüdische Männer und Frauen entweder direkt oder über das Durchgangslager Drancy bei Paris in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Es gab nur 115 Überlebende bei der Befreiung. Dabei spielten sich herzzerreißende Szenen ab, weil die Kinder von ihren Eltern getrennt wurden und allein zurückblieben (Hintergrund: Die Deutschen und Vichy-Frankreich verständigten sich erst Mitte August darauf, auch jüdische Kinder zu deportieren; vgl. dazu Klarsfeld, a.a.O., S. 148, 433).

 

Die damals in Pithiviers internierte Ärztin Adélaïde Hautval beschreibt die Trennung der Mütter von den Kindern: 

„Jetzt sind die Kinder allein“ - Tafel im Cercil-Museum*)

„Es gibt nur noch Kinder im Lager“ - Tafel im Cercil-Museum, Orléans*)

„Der schlimmste Transport ist der vom 2. August 1942: Eltern werden von ihren Kindern getrennt. Diese müssen im Lager bleiben. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet, wenn man weiß, dass es 1.200 Kinder sind. Nur die Kinder über fünfzehn können ihre Familie begleiten. Unsägliche Szenen! Die Kinder werden mit Gewalt von ihren Eltern weggerissen. Eine halb wahnsinnige Frau entführt ihr Kind aus der Krankenstation. Ich habe an diesem Tag mehr als einen Gendarmen weinen sehen. Sie mussten diese Familienszenen beenden und die Leute aus den Baracken jagen. Die meisten waren auf diese Aufgabe nicht vorbereitet.“

„Der Lagerkommandant kam zu mir, um mich zu bitten, meinen Einfluss bei den Müttern zu nutzen und ihnen zu sagen, dass die Kinder bald mit ihren Eltern zusammenkommen würden. Er zeigt mir einen Brief der Präfektur von Orléans, der wörtlich folgende Sätze enthält: 'Die Eltern werden vorgeschickt, um das Lager aufzubauen. Die größte Sorgfalt wird darauf verwendet, dass die Lebensbedingungen für die Kinder möglichst gut sind.' ….

Auf der Krankenstation gibt es jetzt nur noch Kinder …. Sie sind stumm geworden, antworten auf keine Frage. Niemals sieht man auf ihren Gesichtern den kleinsten Anschein eines Lächelns. Erschöpft und stumpf lassen sie alles mit sich geschehen, gleichgültig gegenüber dem, was noch passieren kann ...“ (Aus: Hautval, Adélaïde, a.a.O., S. 23 bzw. 24).

 

Gedenkstein für 2300 deportierte KinderDeportation der Kinder
Am 13. August gab das RSHA in Berlin grünes Licht für die Deportation der Kinder aus den Lagern Beaune-la-Rolande und Pithiviers; aber „Geschlossene Kindertransporte sind jedoch keinesfalls auf den Weg zu bringen“ (vgl. Klarsfeld, a.a.O., S. 433f.). Die Kinder wurden zwischen dem 17. und 28. August 1942 zunächst in das Internierungslager Drancy bei Paris transportiert. Dort wurden sie auf Transporte von Erwachsenen aufgeteilt und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Keines der Kinder überlebte.

Im Mémorial der Deportation in Pithiviers ist ein Gedenkstein den Kindern gewidmet; der Text lautet: „Dem Andenken der 2300 jüdischen Kinder, die im Lager Pithiviers vom 19. Juli 1942 bis 16. September 1942 hier interniert wurden, bevor sie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.“

 

Mémorial jüdische DeportierteGedenken
Am Standort des ehemaligen Lagers hält das 1957 eingeweihte Denkmal die Erinnerung an die in Pithiviers internierten jüdischen Männer, Frauen und Kinder wach, die nach der Deportation in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Eine schwarze Urne enthält Asche aus Auschwitz-Birkenau. Die Inschrift auf dem Gedenkstein lautet: „Vergessen wir niemals. An diesem Ort internierte der hitlerische Okkupant mehrere tausend jüdische Menschen, die nach Deutschland deportiert wurden, wo fast alle den Tod fanden.“ Zum Gedenkstein für die Kinder s.o.

2012 wurden bei dem Denkmal Tafeln mit der vollständigen Liste der Internierten aufgestellt – mit Namen, Geburtstag, letztem Wohnort, Tag der Verhaftung, Deportation und Todestag, u.a. zwei Tafeln für die Kinder (Square Max Jacob/Rue de l’ancien camp  – der Weg zum Mémorial ist im Ort gut ausgeschildert).
Hier finden jeweils Mitte Juli sowie an Tagen, an denen Deportationstransporte abfuhren, Feierlichkeiten zu Ehren der Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen statt.

Tafel am ehem. BahnhofAuf der Gedenktafel von 1994 an der ehemaligen Bahnhofsfassade ist zu lesen: „Dem Andenken tausender jüdischer Kinder, Frauen und Männer, die von Mai 1941 bis September 1942 diesen Bahnhof und das Internierungslager Pithiviers durchlaufen haben, bevor sie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Vergessen wir es nie“ (Rue Carnot/Rue Jules Moine).

Die Orte Beaune-la-Rolande, Jargeau und Pithiviers sind – neben anderen – Träger des CERCIL in Orléans, das die Geschichte und die Erinnerung an die Menschen in den Internierungslagern im Loiret pflegt (s. Orléans).

Deportations-Denkmal in PithiviersDas Deportiertendenkmal der Stadt ehrt 53 Deportierte und Widerstandskämpfer/innen aus Pithiviers und Umgebung. Darunter befinden sich sechs junge Männer, die bei dem obligaten Abschiedsfoto vor der Abfahrt zur STO-Zwangsarbeit in deutschen Rüstungsbetrieben Fahnen der Alliierten geschwenkt hatten und in das KZ Mauthausen deportiert worden waren. Oder 14 Honoratioren des Nachbarorts Puiseaux, die von deutschen Verbänden auf der Suche nach Résistants als Geiseln genommen und in die KZ Dachau oder Mittelbau Dora deportiert wurden und von denen nur drei überlebten (Rue Degregny /Ecke Rue Lamartine). 


Literatur/Medien
CDJC: L'internement des Juifs sous Vichy, Paris 1996, S. 36ff.
Klarsfeld, Serge: Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit der deutschen und französischen Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich, Nördlingen 1989, S. 430ff.
Hautval, Adélaïde: Medizin gegen die Menschlichkeit. Die Weigerung einer nach Auschwitz deportierten Ärztin, an medizinischen Experimenten teilzunehmen, Berlin 2008
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 72f.; Ausgabe 2012/2013, S. 53f.
http://www.pithiviers.fr/fr/information/87220/le-camp-internement-pithiviers
https://www.larep.fr/pithiviers/2012/08/11/4-mars-1943-douze-conscrits-pithiveriens-sont-arretes-et-envoyes-vers-le-camp-de-mauthausen_1242000.html
https://fr.wikipedia.org/wiki/Pithiviers (camp_de_transit); https://de.wikipedia.org/wiki/Camp_de_transit_de_Pithiviers

*) mit freundlicher Genehmigung des CERCIL