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Sobibor – Vernichtungslager

Tarnname „SS-Sonderkommando“; Quelle: USHMM/Bildungswerk Stanisław Hantz

Woiwodschaft Lublin/Wojew. Lubelski

Die Ereignisse
Systematischer Judenmord durch Gas
Die SS-Einsatzgruppen hatten nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 mit den Massenerschießungen in den eroberten westsowjetischen Gebieten (heute: Belarus, Ukraine) den systematischen Judenmord eingeleitet. Die NS-Führung sann auf eine „effizientere“ Tötungsart, um die „Endlösung der Judenfrage“, d.h. die Ermordung der europäischen Juden, möglichst zügig zu realisieren. Etwa zeitgleich mit der Eröffnung des Vernichtungslagers für den - annektierten - Warthegau in Kulmhof/Chełmno nad Nerem beauftragte SS-Reichsführer Himmler den Lubliner SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik mit der „Aktion Reinhardt“. Ziel war die „Umsiedlung“ und planmäßige Vernichtung der Juden des Generalgouvernements, den von Nazideutschland besetzten polnischen Gebieten, in dem auch Sobibór lag, später auch aus anderen Ländern.
Im November 1941 wurde mit dem Bau des Vernichtungslagers in Belzec begonnen, in denen die Menschen in Gaswagen und Gaskammern ermordet wurden. Die Morde wurden von Männern der „Aktion T4“ ausgeführt, die im Rahmen der sog. „Euthanasie“ die Ermordung von Kranken und Behinderten durch Gas entwickelt und praktiziert hatten. Die Männer waren Globocnik von der Organisation T4 in der (Privat-) Kanzlei Hitlers zur Verfügung gestellt worden.

„Rampe“ am Bahnhof (2018) Skizze des Lagers Sobibor; Quelle: Bildungswerk St. Hantz (ca. 2017)

Aufbau des Lagers Sobibor
Die Vorbereitungen für den Bau des zweiten Vernichtungslagers in Sobibór begannen im Winter 1941/42, verantwortlich war Richard Thomalla, der auch das Lager Belzec aufgebaut hatte. Auch die örtliche Bevölkerung wurde herangezogen, z.B. beim Anlegen von Gräben oder dem Bau von Holzbaracken. Im April 1942 kamen das deutsche Lagerpersonal sowie Trawniki-Männer dazu. Mehrere hundert aus Włodawa nach Sobibor verschleppte Juden mussten verschiedene 'seltsame Gebäude' errichten, nämlich für die Gaskammern und Krematorien – sie gehörten zu den ersten, die darin getötet wurden.
Während der Aufbauphase inspizierte Heinrich Himmler das Lager am 12. Februar 1943 : An dem Tag „führte SS Oberscharführer Erich Bauer …. eine Demonstrationsvergasung von über 200 extra ausgewählten jungen jüdischen Mädchen aus …. Wlodawa durch. Sie waren zwei Tage lang bis zur Ankunft von Himmler in einem Abschnitt des sog. „Schlauchs“ festgehalten worden, dem Gang, der zu den Gaskammern führte“ (Blatt, a.a.O., S. 29; s.a. Uhl u.a., S. 145f.).

Das Lagergelände war ca. 600 Meter lang und 400 Metern breit. Ein ca. drei Meter hoher, mit Zweigen durchflochtener, doppelter Stacheldrahtzaun sollte den Blick ins Lagerinnere verhindern und jede Flucht unmöglich machen. Auf einem Schild über dem Lagereingang stand „SS-Sonderkommando“. Das Lager hatte zeitweise die Tarnbezeichnung 'Waldlager Wlodawa'.

Das Lager war in drei, später in vier Teile ('Lager') unterteilt. Das sogenannte Vorlager war die Verwaltungszone des Lagers. Hier befanden sich ebenfalls die Unterkünfte für die Deutschen sowie für die Trawniki-Männer. Abgetrennt durch Zäune schloss sich westlich des Vorlagers das Lager 1 an, das von Karl Frenzel geleitet wurde. Hier befanden sich die Wohnquartiere für die jüdischen „Arbeits-Häftlinge“ und Werkstätten, in denen Schuster, Schneider, Zimmerleute oder Mechaniker arbeiteten.
Lager 2 war der „Aufnahmebereich“ des Lagers. Auf einem teilüberdachten Platz mussten sich die Opfer entkleiden, nachdem sie ihr Gepäck abgegeben hatten. Mehrere Sortierbaracken und Magazine zur Lagerung der geraubten Gegenstände befanden sich ebenfalls in Lager 2.

Lager 3: Vom Lager 2 führte ein etwa 150 m langer Pfad zu Lager 3. Er war von beiden Seiten mit Stacheldraht umzäunt und mit Zweigen durchflochten, um jede Einsicht zu verwehren. Am Ende dieses sogenannten „Schlauchs“ befand sich das Lager 3. Durch den Pfad wurden die Opfer nackt zu den Gaskammern in Lager 3 getrieben. Vorher wurde den Frauen, in einer Baracke am Ende des "Schlauchs", die Haare abgeschnitten. Der Zugang zum Lager 3 war streng verboten; es gab praktisch keinen Kontakt zu den dort eingesetzten Häftlingen.
Die Gaskammern befanden sich in einem Backsteingebäude, das im Sommer 1942 erweitert wurde. (Die einzelnen Kammern waren wahrscheinlich quadratisch, ca. 16 qm² groß. Im Spätsommer 2014 fanden Archäologen die Reste der Gaskammern. Ein 200 PS starker Motor, der das tödliche Kohlenmonoxid erzeugte, stand in einem angebauten Schuppen.
In den Gaskammern befanden sich Brause-Attrappen, um die Opfer bis zuletzt im Glauben zu lassen, dass sie duschen würden. Jede Kammer hatte einen zweiten Ausgang, durch die man die Leichen der Opfer nach der Vergasung herausbringen konnte. Eine Lorenbahn verband die Gaskammern mit den riesigen Leichengruben. Dort wurden die Leichen anfangs verscharrt, ab Spätherbst 1942 auf großen Scheiterhaufen verbrannt.
Lager 4: Im nordöstlichen Bereich sollte auf Befehl Himmlers ein Lager für die Aufbereitung Beutemunition für die Wehrmacht entstehen, dazu kam es aber wegen der Schließung des Lagers nach dem Häftlingsaufstand nicht (Näheres bei Schelvis, aaO, S. 33ff.).

„Gedenkallee“ (2017) – die Gedenksteine wurden nach der Neukonzeption der Gedenkstätte 2021 abgebaut; vgl. Abschnitt 'Gedenken'

Bahnhof Sobibór (2017)

Einzelne Transporte
In den ersten Transporten (Mai – Dezember 1942) kamen jüdische Einwohner/innen aus den Ghettos der Gemeinden im Distrikt Lublin, z.B. Chelm, Izbica, Zamość, aus der Slowakei, aus Tschechien, aus Deutschland (Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Koblenz); ab März 1943 Transporte aus Frankreich (Drancy) und insges. 34.300 Menschen aus den Niederlanden; Anfang Mai aus Wlodawa ('finale' Ghettoauflösung), am 26. Juni die Juden des 'Sonderkommandos' Belzec), Mitte September aus Minsk (u.a. A. Petscherski, vgl. Sobibor - Häftlingsaufstand); Einzelheiten und Zahlen bei Blatt, a.a.O., S. 50ff., Berger, a.a.O., S. 422ff.; Schelvis, a.a.O., S. 88ff., 238ff. Die SS ermordete ab Mai 1942 zwischen bis zu 180.000 jüdische Menschen. Nach dem Häftlingsaufstand im Oktober 1943 wurde das Lager geschlossen.

Literatur/Medien
Berger, Sara: Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburg 2013
Bildungswerk Stanislaw Hantz u.a. (Hg.): Fotos aus Sobibor. Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus, Berlin 2020
Blatt, Thomas „Toivi“: Sobibór – der vergessene Aufstand, Hamburg/Münster 2004
Gutman, Israel/Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/ Schoeps, Julius H.: Enzyklopädie des Holocaust, Berlin 1993, Band III, S. 1330-1334
Lehnstaedt, Stephan: Der Kern des Holocaust. Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt, München 2017
Schelvis, Jules: Vernichtungslager Sobibór, Berlin 2008
Uhl, Matthias u.a. (Hg): Die Organisation des Terrors. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945, München 2020, S.105 u. 145 (zu Himmler in Sobibor)