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Jurbarkas

Bezirk Tauragė

Die 1790 erbaute und 1941 zerstörte Synagoge (Yad Vashem)

Der Ort
Die Stadt Jurbarkas (früherer deutscher Name: Georgenburg) mit heute ca. 13.000 Einwohnern (2010) liegt im Südwesten Litauens, nur ca. 10 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt. Man erreicht Jurbarkas von Kaunas aus nach ca. 80km auf der Straße Nr. 141. 1940/1941 zählte die Stadt über 4.000 Einwohner, die jüdische Gemeinde ungefähr 1.300 Mitglieder.

Die Ereignisse
Jurbarkas lag in der sog. 25-Kilometer-Zone an der deutsch-litauischen Grenze, in der das „Einsatzkommando Tilsit“ nach dem deutschen Einmarsch den Auftrag hatte, diese Region von Juden und Kommunisten zu „säubern“.

Die Wehrmacht erreichte Jurbarkas schon am 22. Juni 1941, am 23. Juni traf Gerhard Carsten, SS-Offizier und Leiter der nahen Grenzpolizeistation Schmalleningken (Smalininkai) ein und wies die örtlichen Nationalisten an, Listen von Sowjet-Aktivisten und Juden der Stadt zusammenzustellen. 

Am 3. Juli 1941 erschien ein Aufgebot des „Einsatzkommandos Tilsit“ mit dessen Chef, Hans Joachim Böhme, und dessen Stellvertreter Werner Hersmann. Gerhard Carsten hatte in Abstimmung mit dem Bürgermeister den jüdischen Friedhof als Ort der geplanten Exekution abgesprochen. Zusammen mit litauischer Polizei wurden jüdische Männer und einige Dutzend kommunistischer Aktivisten auf der Grundlage der vorbereiteten Namenslisten festgenommen, in einer Kolonne auf den jüdischen Friedhof gebracht, wo in einer vierstündigen Mordaktion insgesamt 370 Opfer unter Schlägen an die vorbereiteten Gruben getrieben und durch Pistolenschüsse getötet wurden. Nach der Bluttat feierte das Erschießungskommando in einer Gaststätte, die Zeche wurde mit Geld bezahlt, das den Juden vor deren Ermordung abgenommen worden war. Am 21. Juli wurden 45 ältere Juden unter dem Vorwand einer ärztlichen Untersuchung abtransportiert und nach wenigen Kilometern umgebracht. Die öffentlichen Demütigungen der Juden eskalierte zu einer wahren Orgie: sie wurden gezwungen, mit eigenen Händen ihre Synagoge niederzureißen, Tora-Rollen und religiöse Schriften zu verbrennen und unter Schmähungen hinter einer Stalin-Büste als angebliche Sowjet-Freunde eine Art „Prozession“ zu bilden. Bis Ende Juli wurden weitere Juden und angebliche Kommunisten ermordet.

 

Eingang Gedenkanlage alter jüdischer Friedhof Gedenktafeln mit Inschriften Lage der Massengräber

Der 1. August begann mit einem Massaker an älteren jüdischen Frauen, Kindern und Säuglingen. Sie wurden von der Talmud-Schule in Richtung Smalininkai getrieben und unweit der Straße erschossen. Einige nur verwundete Opfer wurden lebendig begraben, Kinder wurden erschlagen. Diesem Mord an älteren Frauen und kleinen Kindern – jüngere Frauen waren zur Zwangsarbeit zurückbehalten worden – folgte im Laufe des Monats August die Tötung von weiteren zwanzig Juden.

Ende August wurden die noch lebenden, zu Zwangsarbeit eingesetzten Juden in zwei Gebäuden ghettoähnlich zusammengepfercht, bevor sie von Anfang bis Mitte September zu hunderten in weiteren Massakern grausam umgebracht wurden. Bei einem der Massaker war den jüngeren Frauen mit ihren Kindern vorgespiegelt worden, sie würden zu ihren Männern gebracht, weshalb sie ihre Wertsachen mitnehmen sollten. Im Wald in Richtung Smalininkai mussten sie sich an der vorbereiteten Grube entkleiden, ihre Wertsachen abgeben, dann wurden sie unter dem Kommando von Gerhard Carsten erschossen. Ein nächster Massenmord wurde von einem SS-Kommando aus Kaunas ausgeführt. 200 der bis dahin noch lebenden Juden wurden im Wald von Šilinė in der Nähe der Ortschaft Skirsnemunė ermordet. Die Bilanz: Ende September 1941 war etwa ein Drittel der Bewohnerschaft – die in Jubarkas beheimateten Juden – ermordet. Am Ortsausgang der Stadt verkündete ein Schild: „Georgenburg ist judenfrei.“

Gedenkort II an der Straße nach Smalininkai

Nur wenige Juden der Stadt sind der Vernichtung entkommen und konnten in die Wälder fliehen. Sie schlossen sich später mit Flüchtlingen aus dem Ghetto Kaunas zu einer Partisanengruppe zusammen. Überlebende gehörten entweder zu dieser Partisanengruppe oder sie haben das Ghetto von Kaunas überlebt. Nur wenige waren im Juni 1941 in die Sowjetunion entkommen. In Jurbarkas haben insgesamt neun jüdische Frauen und Männer den Holocaust überlebt. Ihre Namen und die ihrer Retterinnen und Retter sind bekannt.  

Täter waren Angehörige des „Einsatzkommandos Tilsit“ unter dem Befehl von Hans-Joachim Böhme und dessen Stellvertreter Werner Hersmann. Beide wurden mit weiteren sechs Angeklagten, unter ihnen Gerhard Carsten, im Ulmer Einsatzgruppenprozess im August 1958 wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord verurteilt. Täter waren außerdem der Bürgermeister der Stadt, litauische Polizisten und Helfer, die an Vorbereitungen und Ausführung der Massaker teilnahmen. Insgesamt waren 31 nichtjüdische Litauer aus Jurbarkas an den oft unbeschreiblichen Misshandlungen und Erschießungen ihrer Mitbürger beteiligt. Nichtjüdische Einwohner haben sich am Eigentum der Ermordeten bereichert: an Grundstücken, Wohnungen, Häusern, Vieh und Mobiliar. Ehemals jüdische Geschäfte wurden vor allem von litauischen Polizisten und Nationalisten übernommen.

Gedenken

Gedenkort I für die am 3. Juli Ermordeten
An die Opfer der Mordtat vom 3. Juli 1941 erinnert eine Gedenkanlage auf dem alten jüdischen Friedhof von Jurbarkas. Man erreicht sie vom Zentrum der Stadt aus auf der Straße Nr. 141 (Dariaus ir Girėno gatvė) in Richtung Kaunas: vor dem ersten Kreisverkehr außerhalb der Stadt (links befindet sich eine Tankstelle) weist ein grünes Hinweisschild (Genocido aukų kapai) nach rechts zum alten jüdischen Friedhof und zur Gedenkstätte. Der Gedenkstein enthält folgende Inschrift in Litauisch und Jiddisch „Im Jahr 1961 wurde die gesamt jüdische Gemeinde mit ihren 2.000 Mitgliedern vernichtet. An diesem Ort ermordeten Hitlers Henker und deren lokale Helfer über 300 Juden sowie einige Dutzend Litauer und Russen. Der berühmte litauische Bildhauer Vincas Grybas wurde hier ermordet. Im ewigen Gedenken an die Opfer des Völkermords.
55.08073639 22.79159139 / 55°4.8442'N 22°47.4955'E

Gedenkort II für die im August und September Ermordeten
Zum Gedenkort für die Opfer vom August und September gelangt man über die Straße Nr. 141 von Jurbarkas in Richtung Smalininkai. Nach ca. 7km fährt man links in den Wald. Auf der rechten Seite befindet sich ein Straßenschild (Pasienio ruožas) und das Kilometerzeichen 93, auf der linken Seite ein schwarzer Markstein, der 100m weiter in den Wald weist und zu dem kleinen Gedenkstein führt. Seine Inschrift in Jiddisch und Litauisch lautet: „An diesem Ort ermordeten die Nazis und ihre lokalen Helfer auf brutale Weise am 8. September 1941 500 Juden aus Jurbarkas.“ 
55.08124139 22.65773972 / 55°4.8745'N 22°39.4644'E

Gedenkort III im Wald von ŠilinėGedenkort III für die im Wald von Šilinė Ermordeten
Zu diesem Gedenkort gelangt man auf der Straße Nr. 141 von Jurbarkas nach Kaunas, fährt durch den Ort Skirsnemunė bis zu einem blauen Straßenschild (Raseiniai links 300m); hinter diesem Schild biegt man links in den Waldweg ein, fährt an der ersten Gabelung links und folgt dem Hauptwaldweg ca. 300 Meter. Dann hält man sich rechts, fährt an einem Schild „Partizanų kapai“ vorbei, folgt ca. 50m dem Hauptweg und erreicht nach weiteren 100m links den Gedenkstein mit folgender Inschrift: In Erinnerung an die Juden von Jurbarkas, die hier 1941 von Hitlers Schergen und ihren lokalen Helfern ermordet wurden (in Jiddisch und Litauisch).
55.09124000 22.94919139 / 55°5.4744'N 22°56.9515'E


Literatur/Medien

Dieckmann, Christoph: Holocaust in the Lithuanian Provinces. Case Studies of Jubarkas and Utena, in: Kosmala, Beate / Verbeeck, Georgi (Hg.): Facing the Catastrophe. Jews and Non-Jews in Europe during World War II, Oxford 2011, S. 73-96; Holocaust Atlas 2011, S. 190-194; Puisyte, Ruta: The Mass Extermination of Jews of Jurbarkas in the Provinces of Lithuania during the German Nazi Occupation. B.A. Thesis, Vilnius University 1997 (abrufbar unter https://kehilalinks.thesis.puisyte.html); Dies.: The Holocaust in Jurbarkas, in: Levinson, Joseph (Hg.): The Shoah (Holocaust) in Lithuania, Vilnius 2006, S. 54-63; Urteil des Landgerichts Ulm vom 29. August 1958, in: Justiz und NS-Verbrechen, Band XV, Nr. 465, Tatkomplex Jurbarkas/Georgenburg unter https://www.expostfacto.nl/

http://www.holocaustatlas.lt/EN/Jurbarkas/Gedenkort I
http://www.holocaustatlas.lt/EN/Jurbarkas/Gedenkort II
http://www.holocaustatlas.lt/EN/Šilinė/Gedenkort III
http://kehilalinks.jewishgen.org/Yurburg/yurburg.html
https://www.memorialmuseums.org/Friedhof-Jurburg 
http://www.yadvashem.org/untoldstories/Jurbarkas
https://www.youtube.com/watch?v=MDoWtcoYwSU (Interview mit Doba Rozenberg, jiddisch)

Foto: Yad Vashem, Digital Collections, Photo Archive, Item ID 67871, Archival Signature 198BO9