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Ascq

Region Hauts-de-France/Nord - Pas-de-Calais, Departement Nord


Der Ort Denkmal 'Tertre des massacrés'
Ascq, im Zweiten Weltkrieg eine Gemeinde von etwa 3300 Einwohner/innen, ist heute ein Ortsteil der aus dem Zusammenschluss von Ascq mit anderen Gemeinden entstandenen Stadt Villeneuve-d’Ascq, 62870 Einwohner/innen (2014). Die Gedenkstätte Ascq liegt elf km südöstlich von Lille an der A 22/N 227, Ausfahrt Triolo →Ascq, dann Schildern 'Mémorial Ascq 1944' folgen. Bahnhof Baisieux/Ascq der Strecke Lille-Tournai.
 
Massaker durch SS-Soldaten
In der Nacht des 1. April 1944 sprangen nach einem Anschlag im Bahnhof von Ascq zwei mit Panzern und Maschinengewehren beladene Wagen eines Zuges mit Soldaten der 12. SS-Panzerdivision 'Hitlerjugend' aus den Schienen, verletzt wurde niemand. Dennoch begannen die Waffen-SS-Soldaten noch in der Nacht und ohne jede vorherige Untersuchung auf Befehl von SS-Obersturmbannführer Walter Hauck eine Jagd auf alle Männer des Ortes. Sie wurden aus ihren Häusern herausgeholt und unter Schlägen auf die Straße getrieben. Der Pfarrer und zwei Flüchtlinge, die er beherbergt hatte, wurden verprügelt und dann erschossen. Auch mehr als zwanzig Eisenbahner waren unter den Opfern.



Opfer des Massakers vom 2. April 1944Schließlich wurden die Männer entlang der Bahnstrecke aufgestellt und einer nach dem anderen Gedenktafel Eisenbahnererschossen. Nach etwa zwei Stunden wurden die Erschießungen durch die Ankunft von deutschen Feldgendarmen, Bahnpolizei und frz. Gendarmen aus Lille unterbrochen - etwa 20 Männer, darunter der Bürgermeister, entkamen so dem Tod. Aber 86 willkürlich ausgesuchte Menschen zwischen 15 und 75 Jahren waren erschossen und hunderte verwundet worden.
Das Massaker empörte die Öffentlichkeit, Vichy-Vertreter meinten, dass solch ein „Vorfall“ negative Folgen für die französische Kollaborationswilligkeit habe. General Rundstedt, der Oberbefehlshaber West der Wehrmacht, wies die Proteste zurück: die Vergeltungsmaßnahmen entsprächen durchaus seinen Befehlen, „wenn die Truppe auf einen Anschlag gegen ihre Sicherheit mit sofortiger Gegenwehr antworte.“ Die Toten wurden am 5. April 1944 zu Grabe getragen. Tausende Menschen gaben ihnen das Geleit – obwohl das deutsche Militär nur fünf Personen pro Familie genehmigt hatte.
 
Wenige Tage später nahmen die Deutschen nach Denunziation sechs Einwohner von Ascq fest, Mitglieder der Widerstandsbewegung Voix du Nord, die der Öffentlichkeit als die Täter des Bahnanschlags präsentiert wurden. Sie wurden am 7. Juni 1944 im Fort Seclin bei Lille füsiliert.
 

Nach 1945 - Nachkriegsprozesse
In einem verunglückten Lastwagen der 12. Panzerdivision wurden Unterlagen über das Massaker gefunden. So konnten 17 Verantwortliche identifiziert werden. Sie wurden 1949 wegen Kriegsverbrechen angeklagt, neun waren anwesend. Hauck und die Mitangeklagten bestritten jede Schuld und beriefen sich auf den (berüchtigten) „Sperrle-Erlass“ vom Februar 1944, der ihre Bluttat rechtfertigen würde. Das Gericht in Lille verurteilte acht wegen Kriegsverbrechen zum Tode und einen zu 15 Jahren Zwangsarbeit. 1957 wurde Hauck begnadigt und aus der Haft entlassen, die acht anderen schon 1956. Der Generalstaatsanwalt in Celle hat im Oktober 2017 wegen des Massakers Ermittlungen gegen Karl M., einen ehemaligen Soldaten der 12. SS-Division 'Hitlerjugend' eingeleitet und im März 2018 eingestellt. Begründung: Das europäische 'Schengenabkommen' verbiete eine Anklage, wenn jemand wegen derselben Tat schon in einem anderen Land verurteilt worden ist. Die Gemeinde Ascq fordert 75 Jahre nach dem Massaker weiter Gerechtigkeit ein.
Tertre des Massacrés Mémorial Ascq 1944 Denkmal der in Seclin Erschossenen
Gedenken
Als „längste Nacht“ bleibt das Massaker im Gedächtnis der Menschen. Am Ort des Verbrechens neben den Bahngleisen wurde eine Stele („Tertre des massacrés“) mit der Inschrift „Zum Gedenken an die, die eines ungerechten Todes starben“ errichtet. Daneben wurde 1984 im Gebäude der 1955 aufgrund von Spenden gebauten Krankenstation das Mémorial-Museum eingerichtet mit der Mission, das Bewusstein für die Absurdität der Gewalt zu schärfen, vor den extremistischen und rassistischen Bedrohungen zu warnen und für die fundamentalen Werte wie Brüderlichkeit, Toleranz und Frieden zu werben. Es erklärt das Drama von Ascq und seiner Bevölkerung im Kontext der deutschen Besatzung.
Musée Mémorial Ascq 1944, 79 Rue Mangin, 59650 Villeneuve-d’Ascq. Öffnungszeiten: an Feiertagen und ersten Sonntag im Monat von 14.30 bis 17.30 Uhr.
Die „Opfer des Massakers vom 2. April 1944“ sind auf dem Friedhof von Ascq begraben, Rue de l'Abbé Lemire, nahe der Gedenkstätte. Neben dem Friedhofseingang befindet sich ein Denkmal „Im Gedenken an die am 7.6. 1944 von den Deutschen im Fort Seclin erschossenen Résistants der Bewegung Voix du Nord“ (Rue de l'Abbé Lemire).
 
Literatur/Medien
Duhem, Jacqueline: Ascq 1944. Un massacre dans le Nord. Une affaire franco-allemande, Lille 2014
Fossier, Jean-Marie: Zone interdite. Nord Pas-de-Calais, Paris 1977, S. 701ff.
Lieb, Peter: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 266ff.
Le Patriote Résistant N° 852 (2011), S. 6
Nestler, Ludwig (Hg.): Die faschistische Okkupationspolitik in Frankreich (1940–1944) Dokumentenauswahl. Berlin (Ost) 1990, S. 88, 109, 307f.
Petit futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 221f.; Ausgabe 2012/2013, S. 158
https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Ascq