Spionage-, Fluchthilfe- und Widerstands-Netzwerk

Initiator des Netzwerks (Réseau) Alliance war 1940 der rechtsnationalistisch eingestellte Offizier George Loustaunau-Lacau, ab Mai 1941 leitete Marie-Madeleine Fourcade das Netzwerk; 'Militärchef' war Léon Faye, ermordet am 30. Januar 1944 im Zuchthaus Sonnenburg.
Das zeitweilig bis zu 3000 Männer und Frauen umfassende Netzwerk sammelte Informationen über Truppenstützpunkte, Truppenbewegungen, Flugplätze, V-1 und V-2 Abschussrampen, Munitionsdepots und übermittelte sie dem britischen Geheimdienst. Sie stellten falsche Papiere her, halfen Gefährdeten über die Grenzen. Sie waren besonders aktiv an den Küsten, u.a. Robert Douin, Ernest Sibiril und Jacques Stosskopf übermittelten ihre Kenntnisse über den Bau des Atlantikwalls und von U-Boot-Basen (vgl. Carantec, Lorient) und lieferten so einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung der alliierten Landung in der Normandie. Die Gruppe rekrutierte Mitglieder anfangs vor allem bei (von Pétain enttäuschten) Militärs und hatte gute Verbindungen in die Vichy-Regierung und Wirtschaft.

Ziviler und bewaffneter Widerstand

Mit anderen Netzwerken wie „Sabot“ und „Ajax“ organisierte Alliance auch Fluchthilfe für Agenten der britischen Geheimdienste, die über Frankreich abgesprungen waren und die Tätigkeit von Résistance-Gruppen koordinierten. Sie bekamen an den Zufluchtsadressen Nahrung, Zivilkleidung, neue Papiere und sichere Adressen auf dem Weg zur Flucht z.B. nach Spanien. Mitglieder des Netzwerkes waren auch beteiligt an der Rettung von Juden, so der in Pforzheim ermordete Paul Masson und der in Karlsruhe erschossene Paul Flamant. Die beiden zur Organisation gehörenden Polizisten Pierre Moucot und Jean Philippe wurden von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.

Alliance beteiligte sich auch am sog. bewaffneten Widerstand. Mitglieder des Netzwerks bargen und verteilten Waffen aus den mit Fallschirmen abgeworfenen Containern (so das „Mémorial“ von „Réseau Alliance“ von 1946). Das Netzwerk unterstützte mehrere Maquis und unterhielt Depots für Funkgeräte und Waffen (Näheres s. Anhang).

Bandbreite der politischen Orientierung

Die verallgemeinernde Bezeichnung als „mehrheitlich konservativ“ (Jansen, S. 100) bzw. in der „Rechten verankert“ (Dictionnaire, S. 142) dürfte vor allem für die Jahre 1941 und 1942 sowie für die Führungspersonen an der Spitze des Netzwerks gelten. Bei den Mitgliedern scheinen aber alle politischen Richtungen vertreten gewesen zu sein. Marie-Madeleine Fourcade selbst schreibt, dass die Gruppe „Menschen aller Konfessionen und aller politischen Richtungen zusammenfasste“ (Fourcade, a.a.O., S. 582). Näheres und Beispiele, auch zur Mitarbeit in anderen Widerstandsgruppen, im Anhang.

Verfolgung und Repression durch die Wehrmacht

Da die Alliance-Mitglieder Tiernamen als Decknamen benutzten, erhielt die Gruppe von der „Abwehr“ der Wehrmacht die Bezeichnung „Arche Noah“.
Wegen seiner Erfolge wurde das Netzwerk von der (Spionage-) Abwehr der Wehrmacht und der Gestapo systematisch verfolgt. Ab Juni 1943 wurden Alliance-Mitglieder im SS-Sicherungslager Schirmeck im Elsass als NN-Gefangene eingesperrt; später weitere in auch in badische Gefängnisse. Ende 1943 fanden drei Scheinprozesse vor dem Reichskriegsgericht in Freiburg/Br. gegen Alliance-Mitglieder statt. Die Todesurteile vollstreckte ein Erschießungskommando der Wehrmacht am 1. April 1944 in Karlsruhe, am 23. Mai 1944 in Ludwigsburg und am 31. August 1944 in Heilbronn (vgl. Brändle, Pforzheim, S. 4).
In der Nacht vom 1. auf den 2. September 1944 wurden 107 Mitglieder im deutschen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof ermordet, weitere 70 in den badischen Orten Bühl, Freiburg, Gaggenau, Karlsruhe, Kehl, Offenburg, Pforzheim und Rastatt in der sogenannten „Schwarzwälder Blutwoche“ im November 1944. Verantwortlich dafür waren Karl Buck, der Lagerleiter von Schirmeck, und Julius Gehrum, Chef der Abwehrstelle der Wehrmacht in Straßburg. Die Befehle kamen von SS-Sturmbannführer Dr. Helmut Schlierbach, Leiter der Gestapo in Straßburg, und dessen Vorgesetzten, SS-Sturmbannführer Dr. Erich Isselhorst, Befehlshaber des SD und der Sicherheitspolizei Südwest in Straßburg. Kurzbiografien der drei SS-Führer in: Brändle, Pforzheim, S.S. 26-29.

Erinnerungsorte in Frankreich (Beispiele)

Natzweiler-Struthof: im 'Krematorium' des deutschen KZ Natzweiler-Struthof erinnert eine Tafel an die 107 erschossenen Alliance-Mitglieder. Ort: etwas unterhalb des ehemaligen KZ und des Centre Européen du Résistant Déporté (GPS: 48.454872, 7.24779).
Foto und Näheres: https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/106/

Strasbourg/Straßburg: Ein Mahnmal befindet sich im Jardin des Deux Rives/Garten der zwei Ufer. Ort: am Rheinufer, nahe der Rheinbrücke (GPS: 48.571745, 7.800720).
Foto: https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/112/, am Textende.

Tulle (Departement Corrèze): Ein Tafel in der Kathedrale ehrt den Priester Abbé Charles Laire, erschossen am 23. Mai 1944 in Ludwigsburg. Ort: Place Gambetta (GPS: 45.267896, 1.770351). Foto: https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/220/

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Bühl/Baden: Eine Tafel im Hof des Amtsgerichts erinnert an die am 29. November 1944 ermordeten acht Alliance-Mitglieder. Ort: Hauptstr. 94 (GPS: 48.698453, 8.138012).

Karlsruhe: Eine Stele an der Theodor-Heuss-Allee nahe des Tatortes erinnert an die am 1. April 1944 erschossenen 12 französischen und zwei belgischen Alliance-Mitglieder. Ort: Theodor-Heuss-Allee/Ecke Breslauer Straße (GPS: 49.029097, 8.430921).
Nähere Informationen siehe:
Brändle, Brigitte und Gerhard: Karlsruhe erinnert - 1. April 1944 – Widerstandskämpfer aus Frankreich und Belgien, gestorben für ein Europa ohne Barbarei, Hg.: Stadt Karlsruhe, 2014; http://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/blick_geschichte/blick100/reseau-alliance.de;
http://www.kontextwochenzeitung.de/ueberm-kesselrand/165/auf-der-spur-eines-verbrechens-2229.html

Kehl: Eine Tafel an der Auffahrt zur Europabrücke erinnert an die neun am 23. November 1944 ermordeten Alliance-Mitglieder. Ort: Europa-Brücke, Pfeiler Südmauer am Radweg (GPS: 48.574113, 7.803457).
Foto: https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/104/
Nähere Informationen siehe: http://memorialmuseums.eu/orte/view/685/Kehl

Offenburg: Zwei Gedenksteine an der Straße von Offenburg/Rammersweier nach Durbach erinnern an die vier am 27. November 1944 ermordeten weiblichen Alliance-Mitglieder (GPS: 48.486248, 7.989138).
Fotos: https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/542/
Nähere Informationen siehe:
Jansen-Degott, Ruth/Junk, Anne (Hg.): Mortes pour la France, Annäherung an die vier 1944 in Offenburg ermordeten französischen Widerstandskämpferinnen, Offenburg 2009;
http://www.badische-zeitung.de/offenburg/gedenken-an-opfer-des-widerstandes--95486768.html

Gedenkstein Alliance, Pforzheim

Pforzheim: Ein Gedenkstein an der Tiefenbronner Straße nahe des Tatorts erinnert an die 25 am 30. November 1944 ermordeten Alliance-Mitglieder; zum 75. Jahrestag wurden Namen und Fotos von allen Ermordeten hinzugefügt. Ort: Tiefenbronner Straße, Buswendeschleife an der Haltestelle Wildpark, GPS: 48.877174, 8.717211
Nähere Informationen:
Brändle Pforzheim;
http://www.pfenz.de/wiki/Erschie%C3%9Fung_franz%C3%B6sischer_Widerstandsk%C3%A4mpfer

 

In Rastatt (14. November: zwölf Morde) und Gaggenau (30. November: neun Morde) gibt es noch keine Zeichen der Erinnerung.

 

*) großer Dank an Brigitte und Gerhard Brändle für Informationen und Material zu 'Alliance'


Literatur/Medien

Brändle, Brigitte und Gerhard: Réseau Alliance. En mémoire – Zur Erinnerung. 30. November 1944 – 30. November 2019, Pforzheim 2019 - zitiert: Brändle: Pforzheim.
dies.: Karlsruhe erinnert - 1. April 1944 – Widerstandskämpfer aus Frankreich und Belgien, gestorben für ein Europa ohne Barbarei, Hg.: Stadt Karlsruhe, 2014 -. zit.: Brändle: Karlsruhe.
Charles, François : Vie et mort de Poil de Carotte, Strasbourg 2002 – zit. : Charles.
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 143f. – zit. Dictionnaire.
Dis, Maman, c’était qui Louis Malbosc ?, Hg.: Lycée Henry IV (Béziers) sous la direction de Rose-Marie Fouet, in: http://said.bridai.perso.sfr.fr/malbosc.
Fourcade, Marie-Madeleine: L’Arche de Noé, Paris 1989.
Hincker, Mireille u.a. (Hg.): Grenzüberschreitender Versöhnungsweg: Ökumenische grenzüberschreitende Arbeitsgruppe der Straßburger und Kehler Kirchen, Kehl / Strasbourg 2004.
Jansen-Degott, Ruth/Junk, Anne (Hg.): Mortes pour la France, Annäherung an die vier 1944 in Offenburg ermordeten französischen Widerstandskämpferinnen, Offenburg 2009.
Stegmann, Robert: Das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof und seine Außenkommandos an Rhein und Neckar 1941 – 1945, Straßburg 2010.

http://www.pointer-alliance.fr/memorial_alliance.PDF (Hg. Association Amicale Alliance, Paris 1948) – zit. Mémorial; eine stark erweiterte Neuauflage des Gedenkbuchs ist für Anfang 2021 geplant.
http://www.memorialgenweb.org/memorial3/html/fr/resultcommune.php?idsource=72515 : Namen, Geburts- und Todesdaten von 431 Alliance-Mitgliedern.
http://memoiredeguerre.pagesperso-orange.fr/deportation/alliance/organisation.htm.
Pflug Konrad, Hintergründe zu: Réseau Alliance an der Europa-Brücke, Kehl : http://www.gedenkstaetten-bw.de/gedenkstaetten_anzeige.html?&tx_lpbgedenkstaetten_pi1[showUid]=480&cHash=795365fa5aca065bb21d7dbcf4991a83.
http://www.pfenz.de/wiki/Erschie%C3%9Fung_franz%C3%B6sischer_Widerstandsk%C3%A4mpfer.
http://fr.wikipedia.org/wiki/Alliance_(r%C3%A9seau) (viele Namen von Alliance-Mitgliedern, mit Orten und Funktionen).

Anhang:

Beispiele für Widerstandsformen

Das Netzwerk unterstützte z.B. Maquis in den Departements Allier und Dordogne und in Lorris nördlich von Orléans. Robert Lynen, am 1. April 1944 in Karlsruhe erschossen, transportierte im LKW der eigens dafür gegründeten Scheinfirma „Azur“ an der Mittelmeerküste Waffen. Paul Delécluse gehörte zu einer Gruppe im Departement Pas-de-Calais, die Eisenbahngleise sprengte. Alice Coudol versorgte Gruppen der Resistance in der Bretagne mit Waffen, Augustin Parrot war auch Mitglied der bewaffneten Widerstandsgruppe „Les Ardents“ in der Auvergne, Felix Jacquet war in der Normandie zuständig für ein Depot für Funkgeräte und Waffen. Louis Payen wurde bei einem Transport von Waffen und Funkgeräten im Großraum Lyon verhaftet – die vier letztgenannten Alliance-Mitglieder ermordete ein Gestapo-Killertrupp am 30. November 1944 in Pforzheim.
Der Polizist Pierre Moucot, Mitglied des Netzwerks, versorgte die Résistance östlich von Lyon mit Waffen. Gabrielle Lesimple und Roger Mompezat arbeiteten für das Netzwerk und waren gleichzeitig im Maquis im Zentralmassiv. Die Leiterin des Netzwerks, Marie-Madeleine Fourcade, schloss sich 1944 dem Maquis an, sie und andere Alliance-Mitglieder nahmen teil am Vormarsch der alliierten Truppen zur Befreiung Frankreichs.

Beispiele für politische Zusammensetzung von Alliance

Ab 1942 stießen immer mehr Menschen zum Réseau Alliance, so dass sich die soziale Zusammensetzung und auch die Bandbreite der politischen Orientierung änderten. Alle politischen Richtungen scheinen in der Organisation vertreten zu sein, von der kommunistischen Partei bis zur klassischen Rechten, von Atheisten bis zu Gläubigen und Priestern, auch Freimaurer.
(Einer der Priester war der in Pforzheim ermordete François Marty. Paul Masson, ebenfalls in Pforzheim per Genickschuss umgebracht, war Sozialist. Der in Karlsruhe erschossene Lehrer Louis Malbosc war Sozialist und Freimaurer.) Bei Alliance engagierten sich bzw. arbeiteten mit der Gruppe zusammen auch Anarchisten wie Robert Douin, der im Departement Calvados Alliance-Chef war, und Gewerkschafter wie Paul Delécluse im Departement Pas-de-Calais, der gleichzeitig einem sozialistischen Netzwerk angehörte. Zur Gruppe gehörten auch Kommunisten wie Paul Noirot im Zentralmassiv und andere Kommunisten und Antifaschisten in der Normandie.
Regionale Verantwortliche von Alliance arbeiteten mit anderen Widerstands-Gruppen zusammen; z.B. im Departement Dordogne. In der Creuse waren Alliance-Mitglieder auch in anderen Netzwerken und in lokalen Résistance-Gruppen tätig. Im Departement Loiret unterstützte Alliance das Maquis von Lorris mit Waffen und Funkgeräten.