Die Kriegsvorbereitung
Das Bild vom germanischen Herrenvolk, von minderwertigen Rassen, die Vorstellung vom „jüdisch-bolschewistischen Todfeind“ und des notwendigen Kampfes um „Raum im Osten“ war zur ideologischen Basis in der Wehrmacht etabliert. Darauf aufbauend erteilte Hitler am 18. Dezember 1940, ein halbes Jahr vor Überfall auf die Sowjetunion, die Weisung an das Oberkommando: “Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, … Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen“ (Weisung Nr. 21, Fall Barbarossa).

Die verbrecherischen Befehle
Bis zum Angriff am 22. Juni 1941 folgte dieser Weisung eine Serie völkerrechtswidriger Befehle und Richtlinien der Obersten Heeresleitung, die Kriegsverbrechen befahlen oder erlaubten. Hitler persönlich schwor die Generäle im März 1941 auf einen gnadenlosen Vernichtungskampf ein, in dem es auf sowjetischer Seite „keine Kameraden“ gebe. Die Befehls-Serie regelte die Kooperation von Wehrmacht und SS, die wirtschaftliche Ausbeutung der eroberten Gebiete und deren Ausbeutung zur Versorgung der Armee und der Bevölkerung in der Heimat. Begleitet wurden die Befehle von einem Hungerplan, der den Tod von 20 bis 30 Millionen Zivilpersonen in der Sowjetunion einkalkulierte, deren Ernährungsgrundlagen geraubt und umgeleitet werden sollten.

Die Befehle erteilten einen Freibrief für Verbrechen gegen Zivilpersonen, sie sollten straflos bleiben (Gerichtsbarkeits-Erlass). Ein ausdrücklich so genannter Kommissarbefehl ordnete die Ermordung sowjetischer Funktionäre aller staatlichen und militärischen Ebenen an. Für sowjetische Kriegsgefangene wurde das Völkerrecht, das deren menschliche Behandlung anordnete, außer Kraft gesetzt. Der sog. Sühnebefehl vom September 1941 besagte, dass für jeden ermordeten Deutschen bis zu 100 Geiseln und für jeden Verwundeten bis zu 50 Geiseln zur Sühne erschossen werden sollten. Die Soldaten waren damit aufgeordert, sich an bevorstehenden Kriegsverbrechen zu beteiligen. Flankiert werden sollte das militärische Handeln von den SS-Einsatzgruppen, die die Aufgabe hatten, politische Gegner (Rotarmisten, sowjetische Kriegsgefangene, Juden, Kommunisten, Roma, geistig Behinderte und verdächtige Zivilisten) zu liquidieren.

Von Litauern angezündete Synagoge; Wehrmachtssoldaten schauen unbeteiligt zu (BArch)Die Exekutivgewalt
Auf dieser Grundlage verfügten die deutschen Befehlshaber vom General bis zu den Orts- und Standortkommandanten in der Anfangsphase der Besatzung im Juli/August 1941 bis zur Funktionsfähigkeit der SS-Einsatzgruppen und der deutschen Zivilverwaltung über die Exekutivgewalt. Dies schloss die Anwendung der verbrecherischen Befehle ebenso ein wie ausdrückliches „Nichteingreifen“ in die von litauischen „Aufständischen“ vor allem in Kaunas eingeleiteten Pogrome und Massaker an der jüdischen Bevölkerung. Wehrmachtsinterne Beschwerden wegen der antisemitischen Mordaktionen wurden unter Hinweis auf „innenpolitische Auseinandersetzungen“ abgebügelt: Heraushalten und Ignoranz waren einerseits Leitlinie, andererseits auch – wie in der Region Vilnius – aktive Kooperation von Wehrmachtsinstanzen mit dem dortigen national-litauischen Bürgerkomitee. Der für Stadt und Region zuständige Kommandant erließ bereits am 25. Juni 1941, einen Tag nach dem Einmarsch in die Stadt, mit dem Bürgerkomitee gemeinsam die Anordnung, dass 60 Juden und 20 Polen als Geiseln zu nehmen und im Fall von Widerstand aus der Bevölkerung gegen die Besatzung auch zu erschießen seien. Die Wehrmacht legte insgesamt in dieser frühen Besatzungsphase das administrative und logistische Fundament für die nachrückende deutsche Sicherheitspolizei und die Zivilverwaltung. Auf Wehrmachtsbefehl wurden Anfang Juli in der Region Vilnius alle jüdischen und kommunistischen Funktionsträger ihrer Ämter enthoben, eine generelle Kennzeichnungspflicht mit gelbem Fleck oder gelbem Stern für Juden und die Unterbringungen von Juden in „rein jüdischen“ Häusern angeordnet. Damit wurde die kurz danach einsetzende Ghettoisierung eingeleitet, die General Karl von Roques, Befehlshaber für das nördliche Litauen, im August und September dann auch sanktionierte.

Unmittelbare Täter
Die Wehrmachtinstanzen in Vilnius griffen auch selbst zur Gewalt und setzten den Kommissarbefehl konsequent um. Im August und September wurden 45 militärische und 197 zivile litauische Funktionäre erschossen; die am Stadtrand errichteten Auffangkommandos für flüchtige Rotarmisten wurden durchkämmt; mit der Anfang Juli nachgerückten Sicherheitspolizei, mit dem Einsatzkommando 9 unter Albert Filbert, das die in Paneriai verübten Massenmorde in Gang brachte, entwickelte sich eine effiziente Zusammenarbeit bei der Liquidierung der Kommissare. Am 24. Juli schaffte ein Wehrmachtskommando 60 der im Juni festgenommenen Geiseln nach Žemieji Paneriai und ermordeten sie.

Die Verantwortung der Wehrmacht
Mit dem Nachrücken der deutschen Zivilverwaltung (Reichskommissariat) und mit der beherrschenden Präsenz der Einsatzgruppe A und deren Einsatzkommando 3 zog sich die Wehrmacht aus der unmittelbaren Besatzungsexekutive zurück, blieb aber

  • verantwortlich für das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen,
  • nutzte unter Einsatz jüdischer und polnischer Zwangsarbeiter und sowjetischer Kriegsgefangener die beschlagnahmten Betriebe und Werkstätten im Land und innerhalb der Ghettos für kriegswichtige Produktion (wirtschaftliche Ausbeutung, Zwangsarbeit),
  • war in Zusammenarbeit mit der SS ab 1942/1943 zunehmend im Kampf gegen sowjetische Partisanen vor allem in Südlitauen eingesetzt.


Literatur / Medien
Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 285ff.; Gräfe, Karl Heinz: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz, Berlin 2010, S. 155ff.; Priemel, Kim C.: Sommer 1941. Die Wehrmacht in Litauen, in: Bartusevičius u.a. (Hg.): Holocaust in Litauen, 2003, S. 26-39; Ritter, Rüdiger: Arbeitsteiliger Massenmord: Kriegsverbrechen in Litauen während des Zweiten Weltkriegs, in: Richter, Timm C. (Hg.): Krieg und Verbrechen. Situation und Intention: Fallbeispiele ( = Villa ten Hompel Aktuell 9), München 2006; Wette, Wolfram: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt/M. 2002.

http://www.1000dokumente.de (Faksimile Weisung Nr. 21, BArch, RM7/962, Bl. 209-217, Original)
http://www.wikiwand.com/de/Holocaust_in_Litauen (Foto: BArch)
https://de.wikipedia.org/wiki/Verbrechen_der_Wehrmacht#Sowjetunion
http://www.taz.de/Deutscher-Ueberfall-auf-die-UdSSR 

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-L19427 / Zoll / CC-BY-SA 3.0