Einsatzgruppen
Die Einsatzgruppen (EG) waren mobile Terror- und Tötungseinheiten der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes (SD) der SS vor allem in den nach dem Überfall auf Polen (1939) besetzten Ländern. Ihre Aufgabe war die Bekämpfung und „Vernichtung feindlicher Elemente“ in den eroberten Gebieten. Einsatzgruppen wurden erstmals beim Einmarsch in Österreich (1938) und bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei eingesetzt. Ihre Aufgaben beim Überfall auf die Sowjetunion 1941 waren mit der Heeresleitung genau abgestimmt. Die vier Einsatzgruppen (A, B, C, D) mit insgesamt 3.000 Angehörigen wurden ab Frühjahr 1941 in einer Polizeischule auf ihre zentrale Aufgabe vorbereitet, nämlich als mobile Killerkommandos flankierend zu den militärischen Operationen die Liquidierung der politischen Gegner – Kommunisten, Juden, Roma, Geisteskranke, verdächtige Zivilisten, Partisanen – zu besorgen. Von der Wehrmacht erhielten sie logistische Unterstützung. In den besetzten Ländern rekrutierten sie einheimische – u.a. litauische – Hilfstruppen. Die zentrale Befehlesgewalt lag bei Heinrich Himmler, vermittelt über die obersten SS- und Polizeiführer. Für die baltischen Staaten waren in dieser Funktion die SS-Obergruppenführer Prützmann (bis Oktober 1941), danach Friedrich Jeckeln eingesetzt.
Die Einsatzgruppe A unter SS-Brigadeführer Franz Walter Stahlecker (bis März 1942) operierte mit ca. 900 Angehörigen in den baltischen Staaten (Litauen, Lettland, Estland und Weißrussland), sie war der Heeresgruppe Nord zugeordnet und – wie andere Einsatzgruppen – in mehrere Einsatz- oder Sonderkommandos untergliedert.
Im Tätigkeits- und Lagebericht Heydrichs, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, vom 27.2.1942 heißt es zu den Einsatzgruppen in der UdSSR u.a.:
„Die Haltung der Juden ist nach wie vor eindeutig deutschfeindlich und kriminell. Es wird angestrebt, das Ostland möglichst vollständig von Juden zu säubern. Die Erschießungen werden überall so durchgeführt, daß sie in der Öffentlichkeit kaum bemerkt werden. In der Bevölkerung und selbst bei den zurückgebliebenen Juden ist vielfach die Überzeugung verbreitet, daß die Juden lediglich umgesiedelt worden sind. Estland ist bereits judenfrei ... In Litauen wurden das flache Land und die kleinen Städte vollständig von Juden gesäubert. Dies war neben grundsätzlichen Erwägungen besonders vordringlich, weil kommunistische Elemente, insbesondere Terrorgruppen und Kreise der polnischen Widerstandsbewegung, Verbindungen zu den Juden aufnahmen. Die Juden wiederum versuchten mehrfach, in an sich aufbauwilligen litauischen Kreisen eine deutschfeindliche Stimmung zu erzeugen.“
Und zur Meldung der Einsatzgruppe A:
„Daher wurden durch ausgewählte Kommandos – meist in der Stärke 1:8 – zunächst die Gefängnisse, dann systematisch Kreis für Kreis des litauischen Gebietes von Juden beiderlei Geschlechts gesäubert. In vielen Einzelaktionen wurden insgesamt 136.421 Personen liquidiert. Bemerkenswert ist, dass dabei mehrere Juden tätlich gegen die eingesetzten Beamten und litauischen Hilfskräfte vorgingen und vor der Exekution noch ihre bolschewistische Einstellung kundtaten, indem sie Hochrufe auf Stalin ausbrachten und Deutschland schmähten. Da die restlose Liquidierung der Juden aus Gründen des Arbeitseinsatzes nicht durchzuführen war, wurden Ghettos gebildet, die zurzeit wie folgt belegt sind: Kauen rund 15.000 Juden, Wilna rund 15.000 Juden, Schaulen rund 4.500 Juden. Diese Juden werden im wesentlichen für wehrwichtige Arbeiten verwandt. So sind z.B. bis zu 5.000 Juden in 3 Schichten auf dem Flugplatz bei Kauen zu Erdarbeiten und dergleichen eingesetzt.“
Einsatzkommandos
Den Einsatzgruppen gehörten einzelne Einsatzkommandos an. In Litauen und im litauisch-deutschen Grenzgebiet waren in den ersten Wochen der Besatzung zunächst mehrere Einsatzkommandos aktiv, vor allem das ad-hoc gegründete „Einsatzkommando Tilsit“.
Einsatzkommando Tilsit
Dieses von Juni bis September 1941 bestehende Einsatzkommando wurde am 24. Juni mit dem speziellen Auftrag gebildet, die litauischen Städte und Dörfer im deutsch-litauischen Grenzstreifen von Juden und Kommunisten zu „säubern“. Das Kommando hatten SS-Obersturmbannführer Hans Joachim Böhme, Leiter der Gestapo in Tilsit, sowie der damalige Chef des Tilsiter SS-Sicherheitsdienstes Werner Hersmann. Den von der Einsatzgruppe begangenen Verbrechen fielen zwischen dem 24. Juni und Mitte September 1941 über 5.000 Menschen zum Opfer, in ihrer Mehrzahl litauische Juden und deren Familien, sowie zahlreiche Kommunisten und angebliche Sympathisanten des litauischen Sowjetregimes. Die Untaten geschahen u.a. in den Orten Gargždai, Kretinga, Palanga, Tauragė, Darbenai, Jurbarkas, Kalvarija, Marijampolė, Kudirkos Naumiestis, Žemaičių Naumiestis. Die vor dem Landgericht Ulm 1958/1959 Angeklagten wurden wegen Beihilfe zu Mord zu Haftstrafen zwischen 3 und 15 Jahren verurteilt. Angeklagt war neben Böhme und Hersmann u.a. der damalige deutsche Polizeichef von Memel/Klaipėda), Bernhard Fischer-Schweder. Sie hatten mit Angehörigen ihrer Ämter in Absprache mit Walter Stahlecker, dem Chef der SS-Einsatzgruppe A, dieses spezielle Einsatzkommando gebildet.
Einsatzkommando 9 und 3
Bis Ende Juli 1941 war das zur Einsatzgruppe B gehörende Einsatzkommando 9 unter dessen Chef Albert Filbert in Vilnius stationiert; es setzte den Anfang der in Paneriai durchgeführten Massenerschießungen. Ab August 1941 lag die Verantwortung für die landesweiten Einsätze beim Einsatzkommando 3 mit dessen stationärer Zentrale in Kaunas und der Hauptaußenstelle Vilnius. Chef war von Juli 1941 bis Herbst 1943 SS-Standartenführer Karl Jäger. Das Kommando war aus ausgewählten, radikal-rassistischen Nachwuchsoffizieren der SS zusammengesetzt, unter ihnen SS-Obersturmbannführer Joachim Hamann, dessen in ganz Litauen wütendes Rollkommando, dem litauischen Hilfstruppen zugeordnete waren, für einen hohen Anteil an den bis Ende 1941 ausgeführten Massenmorden verantwortlich war. Litauen wurde zum exemplarischen Gebiet der „Endlösung der Judenfrage“ noch vor der Wannsee-Konferenz. Neben Jagd auf Angehörige und Unterstützer des Sowjetregimes, Durchkämmen der Lager, Kontrolle der litauische Hilfstruppen und Behörden, auch Kontakt zu den Wehrmachtskommandos, lautete die zentrale Aufgabe der Sicherheitspolizei: Verfolgung und Ermordung der Juden. Nach Jägers eigenen Berichten wurden allein bis Februar 1942 über 138.000 Juden, Kommunisten und andere Opfer vom Einatzkommando 3 umgebracht (Jäger-Bericht).
Einsatzgruppen-Prozesse
1947/48 wurden im einzigen Einsatzgruppenprozess 24 ehemalige hochrangige Angehörige der Einsatzgruppen vor einem US-Militärgericht in Nürnberg angeklagt. Es wurden vierzehn Todesurteile und langjährige Haftstrafen verhängt; vier Todesurteile wurden 1951 vollstreckt, die Haftstrafen wurden verringert. Zwischen 1951 und 1958 kamen alle Häftlinge frei. Karl Jäger befand sich nicht unter den Angeklagten. Er war mit falschem Namen untergetaucht und beging nach seiner Entdeckung 1959 in der Untersuchungshaft Selbstmord. 1958 standen im Ulmer Einsatzgruppen-Prozess Mitglieder des „Einsatzkommandos Tilsit“ vor Gericht.
Literatur / Medien
Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 290-297; Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. v. Wolfgang Benz u.a., München 2007 (Stichwort Einsatzgruppen); Gilbert, Martin: Nie wieder! Die Geschichte des Holocaust, Berlin, München 2001, (Abb. S. 62); Gräfe, Karl Heinz: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz, Berlin 2010, S. 136ff.; Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt/M. 1990, Bd. 2, S. 287ff., Krausnick, Helmut: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942, Frankfurt/M. 1998; Ogorreck, Ralf / Rieß, Volker: Fall 9: Der Einsatzgruppenprozess, in: Ueberschär, Gerd R. (Hg): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt/M. 1999, S. 164ff; Wette, Wolfram: Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden, Frankfurt/M. 2011, S. 75ff.; Wild, Michael: Generation der Unbedingten – Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2003.
https://de.wikipedia.org/wiki/Einsatzgruppen_der_Sicherheitspolizei_und_des_SD
https://www.ushmm.org/wlc/en/article.php?ModuleId=10005130
http://www.ns-archiv.de/imt/ps3801-ps4000/3876-ps/3876-ps-1.php (Bericht Heydrich u.a. vom 27.2.1942)
http://www.ns-archiv.de/imt/ps2201-ps2400/2273-ps.php (Bericht Stahlecker Einsatzgruppe A)
http://phdn.org/archives/holocaust-history.org/german-trials/einsatz-ulm.shtml (EG-Prozess Ulm)
https://de.wikipedia.org/wiki/Ulmer_Einsatzgruppen-Prozess
http://holocaustatlas.lt/EN/#perpetrators/item/23/ (EK Tilsit)
http://kehilalinks.jewishgen.org/tilsit-report (Die Stapostelle Tilsit meldet dem RSHA am 1. Juli 1941 von ihr durchgeführte Massaker an Juden und Kommunisten im Memelgebiet)
http://timmsrc.uni-tuebingen.de (Vorlesung von Prof. Michael Wildt über die Tübinger Exekutoren der Endlösung (Ehrlinger u.a.) Videoaufzeichnung
https://www.expostfacto.nl/ (Justiz und Verbrechen: Sammlung Strafurteile)