Die Verfolgung der Juden Frankreichs bis hin zu ihrer Deportation und Ermordung erfolgte in mehreren Etappen: Diskriminierung, Ausschluss aus der Gesellschaft waren Ziele sowohl von Deutschen und als auch des Vichy-Regimes. Deportation und Vernichtung der Juden waren Ziele der deutschen Besatzer; Vichy-Frankreich war daran z.B. durch Polizei-Razzien beteiligt.
Ausschluss aus der Gesellschaft
Er erfolgte fast zeitgleich durch das – offenbar ohne deutsche Interventionen zustande gekommene - Vichy-Judenstatut vom Oktober 1940 und die deutsche Verordnung von November 1940: Entfernung aus dem öffentlichen Dienst, Berufs-, Ausgangs- und Bewegungsbeschränkungen, Beschlagnahme bzw. Raub von Vermögen und Kulturgütern (vgl.Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (Frankreich); Paris 16°, Dienststelle Westen). Ab 1941 wurden Juden karteimäßig erfasst; im Mai 1942 ordnete die Wehrmacht in der besetzten Zone das Tragen des Judensterns an.
Internierung, Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager
Im Herbst 1940 wiesen die Deutschen die jüdischen Bewohner/innen aus Elsass und Lothringen (Moselle) nach Südfrankreich (Gurs) aus. Vielen nach dem deutschen Einmarsch im 'Exode' in den Süden Frankreichs geflüchtete Juden wurde später die Rückkehr in ihre Städte und verweigert. 1941 fanden drei große Razzien im Raum Paris statt, vor allem gegen ausländische Juden, die als Teil der „jüdisch-bolschewistischen Verschwörung“ und Hintermänner der Anschläge auf Deutsche gebrandmarkt wurden, sie wurden ab 27. März 1942 deportiert: Mai 1941 'billet vert', 3700 ausländische jüdische Männer; ab 20. August 1941 - etwa 4200 ausländische jüdische Männer; 12. Dezember 1941 – 743 französisch-jüdische Honoratioren (näheres vgl. Paris 15°, Vel d'Hiv-Razzia; Klarsfeld, a.a.O., S. 25ff., 34ff., 376ff.).
Vel d'Hiv-Razzia Juli 1942 und die 'Endlösung der Judenfrage in Frankreich'
Im Sommer 1942 begann die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen SS (Oberg) und französischer Polizei (Bousquet). Im Juli 1942 nahm die französische Polizei - auf deutsches Verlangen - über 13000 Juden in Paris und Umgebung fest, darunter 4115 Kinder, sperrte sie in die Radrennbahn und anschließend in die Internierungslager Drancy, Beaune-la-Rolande und Pithiviers. Sie wurden in das Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert, wo fast alle umkamen (vgl. Paris 15°, Vel'd'Hiv-Razzia).
Im August/September 1942 ließ das Vichy-Regime in der Südzone über 10000 jüdische Menschen in Lagern internieren (z.B. Les Milles bei Marseille), auch sie wurden deportiert. Große Razzien wurden auch in der besetzten Zone durchgeführt, z.B. in Angers, Lille. Es wurden Lager speziell für Juden eingerichtet bzw. genutzt. Die größten waren Drancy bei Paris sowie Gurs, Les Milles und Rivesaltes in Südfrankreich.
Liste der Lager mit Karte: http://www.akadem.org/medias/documents/--camps-internements-3.pdf
Italienische Besatzungszone
Die italienische Armee schützte in ihrer Besatzungszone die jüdische Bevölkerung. Sie verbot antijüdische Razzien und lieferte Juden nicht an die Deutschen oder Vichy aus. So konnten viele jüdische Menschen in relativer Sicherheit von November 1942 bis September 1943 z.B. in Mégève, Nice/Nizza oder Saint-Martin-de-Vésubie wohnen (vgl. auch italienische Besatzung). Nach der deutschen Besetzung der Südzone im September 1943 wurden auch hier umfangreiche Razzien durchgeführt, z.B. in Nice/Nizza, Toulouse oder im Kinderheim von Izieu bei Lyon).
Der Völkermord an den Juden / Shoah
Von den 320000 in Frankreich (incl. Nordafrika) lebenden Juden wurden von 1942 bis Herbst 1944 etwa 75000, meist ausländische oder staatenlose, Juden von den Deutschen in die Vernichtungslager deportiert, nur etwa 2800 kamen zurück. Unter den Opfern waren 11400 Kinder, von denen nur wenige überlebten. Vichy-Frankreich leistete Unterstützung, weil französische Polizei die Juden festnahm und sie den Deutschen übergab. Die Mitverantwortung Frankreichs ist seit einigen Jahren offiziell anerkannt (s.u. Gedenken).
Nach 1945 - Gerichtsverfahren
Nach der Befreiung war die massenhafte Ermordung von Juden Frankreichs lange Zeit kein Thema. Die Verfolgung von Kollaborateuren bei Verbrechen an Résistants stand im Vordergrund. Erst nach dem die UNO 1968 Verbrechen gegen die Menschheit für unverjährbar erklärte und Frankreich ein entsprechendes Gesetz verabschiedete und die Mithilfe Vichy's bei der Judendeportation stärker thematisiert wurde, kam es in Frankreich zu, z.T. langwierigen, Ermittlungen gegen einzelne Personen wie Klaus Barbie sowie René Bousquet, Jean Leguay, Maurice Papon, Paul Touvier. In Deutschland wurden die SS-Führer Knochen und Oberg, die Vollstrecker der „Endlösung“ in Frankreich, nicht belangt; ihre engen Mitarbeiter Lischka, Hagen und Heinrichsohn wurden 1980 verurteilt.
Judenretter/innen
Etwa drei Viertel der Juden Frankreichs blieben, auch dank der Hilfe von französischen Familien oder Hilfsorganisationen, von der Deportation und Ermordung verschont. Es waren Einzelpersonen und Familien, die jüdische Menschen – vorübergehend – aufnahmen. Oder Organisationen, die jüdische Menschen, insbesondere auch elternlose Kinder, in Familien, Pensionen, Kinderheimen oder Klöstern unterbrachten (z.B. OSE oder CIMADE), die sie über die Grenze in die Schweiz brachten (z.B. Marianne Cohn). In Dörfern wie Le Chambon-sur-Lignon oder Dieulefit wurden viele jüdische Menschen auf Höfen oder in Heimen versteckt und gerettet. In Frankreich sind seit 1963 über 4000 Personen durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem als 'Gerechte unter den Völkern' anerkannt worden. Sie werden am gleichen Tag wie die Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen geehrt (vgl. Gedenktage in Frankreich).
Erinnerung und Gedenken
Noch während des Krieges begannen Männer um I. Schneersohn Dokumente zu den Nazi-Verbrechen an Juden (vgl. Grenoble Judendeportation) zu sammeln. 1956 wurde das Jüdische Dokumentationszentrum in Paris eingeweiht (heute Teil des Mémorial de la Shoah; dort steht heute u.a. die 'Mauer der Namen' der etwa 75000 ermordeten Juden Frankreichs.). Es betonte die Besonderheit der Judenverfolgung und -vernichtung (sie wurden verfolgt, weil als Juden geboren) u.a. mit präzisen Angaben zu den Lagern, Deportationstransporten, Zahlen, Namen und Fotos; Ausgangspunkt für die Arbeiten u.a. von Serge Klarsfeld.
Die breite und allgemeine Wahrnehmung und Aneignung durch die Gesellschaft setzte relativ spät ein, nämlich als in den 1970er Jahren die aktive unterstützende Rolle der Vichy-Regierung historisch belegt wurde. Seit 1995 ist die Verantwortung der Vichy-Behörden durch Staatspräsident Chirac anerkannt worden, seine Nachfolger haben diese Linie beibehalten, zuletzt 2017 Präsident Macron. (vgl. Paris 15°, Vel d'Hiv-Razzia). Der 16. Juli oder der nächste Sonntag ist der Gedenktag an die Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen, vgl. Gedenktage in Frankreich; an vielen Schulen, Bahnhöfen, Plätzen erinnern Tafeln an den Völkermord.
Literatur/Medien
CDJC (Hg.): L'internement der Juifs sous Vichy, Paris 1996
Klarsfeld, Serge: Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit der deutschen und französischen Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich, Nördlingen 1989
ders.: Le mémorial de la déportation des Juifs de France, Neuauflage, 4 Bände, Paris 2012ff.; ab 2018 auch im Netz recherchierbar: https://stevemorse.org/france/
ders.: Les 11 400 enfants juifs déportés de France, Paris 2009
Meyer, Ahlrich: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000, bes. S. 34ff., 135ff.
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/la-deportation (dt.)
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/les-grandes-rafles-de-juifs-en-france (dt.)
https://de.wikipedia.org/wiki/Rafle_du_V%C3%A9lodrome_d%E2%80%99Hiver
http://ffdjf.org/brochure_ffdjf_paris.pdf (11400 deportierte jüd. Kinder)
https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_Kollaboration_der_Vichy-Regierung_beim_Holocaust